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Platz 2: Frank Breslawski

41. Woche - Der Polarstern im Nebel - ein seltener Anblick!

| Astrofoto der Woche

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Wer richtet sein Bildfeld schon auf den Polarstern? Wohl die wenigsten Astrofotografen. Frank Breslawski, Mitglied der Fachgruppe Astrofotografie hat es aber gemacht. Warum, das beschreibt er jetzt: "Mein Ziel war es, die zahlreich vorhandene Umgebungsmaterie sichtbar zu machen. Dazu habe ich in vier Nächten ca. 13 Stunden Bildmaterial mit dem kleinen Fotoobjektiv gesammelt. Die Abbildungsqualität des Objektivs ist recht gut, so dass ich hier mit Offenblende arbeiten kann. Um die Nebel sichtbar zu machen, musste das Bild zuerst sternfrei gemacht werden, um dann die Nebelanteile zu bearbeiten und die Sterne abschließend wieder (sehr zurückhaltend) einzusetzen. Polaris stellt da natürlich eine Herausforderung dar. Zur Bildbearbeitung habe ich PixInsight und Topaz Denoise AI verwendet und versucht, eine möglichst geringe Glättung des Bildmaterials vorzunehmen. Corona bedingt habe ich die Aufnahmen mit meinem (eigentlich für Reisen gedachten) mobilen Setup gemacht."

Die Aufnahme datiert vom 02./07./12./17. Mai 2021. Aufnahmeort war das Bergische Land (d.h. die Region östlich des Rheins etwa auf der Höhe von Köln. Als Aufnahmeoptik diente ein Teleobjektiv Samyang 1:2,0/135 mm ED UMC, dazu dann eine Farbkamera des Typs ZWO ASI294MC. Bei -10°C und Offenblende wurde ohne Binning 396 x 120 Sekunden belichtet, das sind 13 Stunden und 12 Minuten (!). Als Filter wurde nur ein UV/IR Cut (Baader) verwendet. Die zugehörige Montierung war eine Sky-Watcher Star Adventurer auf einem Holzstativ von Berlebach. Das Bildfeld misst 7,0° x 4,8° - also sehr weitwinkelig - mit Norden auf 13:15 Uhr.

Was zeigt unser heutiges AdW? Das Gebiet um den Polarstern wird üblicherweise als dunkel empfunden, ist es aber nicht - bei langen Belichtungszeiten. Der zentral gelegene Polarstern (lat.: Polaris) und seine verstreuten Nachbarsterne stecken in einer Fülle faseriger Nebel - das ist der so genannte "galaktische Zirrus". Die Bezeichnung Zirrus ist von den Astronomen gewählt worden, weil ja doch eine Ähnlichkeit mit irdischen Zirruswolken erkennbar wird. Diese Nebel weisen allesamt dynamische Formen auf. Hier spielt sich also eine deutliche Bewegung ab - natürlich nur erkennbar in langen Zeiträumen. Die Nebelfarben variieren von bläulich über grau bis gelblich-braun, je nachdem, welche Lichtwellenlängen auf diese schwachen Reflexionsnebel fallen. Die Sternfarben fallen eher dezent aus, ohne deutliche Anhebung der Farbsättigung. Das ist ja auch dem Bildautor selbst (und seinem persönlichen Geschmack) vorbehalten. Zu den Sternen selbst:

(1655/1586), HD 221525, Spektraltyp A7IV, V = 5,56 mag
(1176/1614), HD 6319, Spektraltyp K2III, V = 6,19 mag
(411/1222), HD 22701, Spektraltyp F5IV, V ~ 5,7 mag
(1826/542), λ UMi, Spektraltyp M1III, V = 6,38 mag
(1138/229), HD 66368, Spektraltyp A0, V = 7,13 mag
(484/191), HD 51802, Spektraltyp M2III, V = 5,07 mag

Warum beschreibe ich die Sterne, ihre Spektraltypen und ihre Helligkeiten immer wieder? Dieser letztgenannte M2-Stern leuchtet entsprechend seinem Spektraltyp satt orange, was hier aber nur ziemlich blass herauskommt. In der linken oberen Bildecke sind gerade noch zwei Galaxien sichtbar (ins Original hineinzoomen). Es handelt sich um das wechselwirkende Paar NGC 2276 und NGC 2300, eine schöne Sc-Spirale und eine elliptische Galaxie. Ihre Entfernung liegt bei 100 Mio. Lj. Wegen der kurzen Brennweite erscheinen beide sehr klein. Beide stehen aber 6' auseinander, wobei NGC 2276 eine Ausdehnung von 2,3' hat. In Verbindung mit dem umgebenden galaktischen Zirrus wäre das doch einmal ein Motiv für lange Brennweiten.

Was kann man über die Höhe des galaktischen Zirrus über der Milchstraßenebene aussagen? Da mache ich noch einmal einen kleinen Schlenker zum Polarstern zurück. Dieser A2-Stern ist zunächst einmal ein Doppelstern und gleichzeitig der nächstgelegene Cepheid. Polaris A - die Hauptkomponente - ist 2,02 mag hell (V), der Begleiter Polaris B in 18" Distanz kommt auf 8,2 mag. Lange schon ist bekannt, dass Polaris A selbst ein spektroskopischer Doppelstern ist mit einer Periode von 30 Jahren. Mit dem Hubble Space Telescope konnte eine optische Trennung erreicht werden: Polaris Aa und Polaris Ab hatten 2007 eine Distanz von 0,18", 2009 waren es 0,15". Die Entfernung von Polaris ergibt sich aus der gemessenen Parallaxe von 7,54 Millibogensekunden (van Leeuwen, 2013) zu etwa 132 pc (430 Lj). Im AdW erscheint der galaktische Zirrus um Polaris leicht bläulich. Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass Stern und Nebel beieinander liegen. Die MBM-Nebel im Pegasus (ebenfalls galaktischer Zirrus mit vermengten Molekülwolken) weisen eine ähnliche Höhe über der galaktischen Ebene auf, also: es passt schon. Schaut man sich jetzt noch im Zusatzbild die direkte Umgebung des Polarsterns an, so kommt einem womöglich gleich ein Verdacht: Steckt der Polarstern nicht in einem Sternhaufen? Es sieht doch ganz danach aus, der gelbe Umkreis verdeutlicht das. Hierzu sind die Astronomen-Meinungen jedoch recht unterschiedlich. Turner (2009) erstellte für Sterne in 3° Umgebung von Polaris ein Hertzsprung-Russel-Diagramm und kam zu dem Schluss, dass ein solcher Sternhaufen existiert. Van Leeuwen (2013) glaubte nach eigenen Messungen die Sternhaufen-Story beerdigen zu können. Man wird sehen ... Problem dabei: Der Polarstern erschwert derartige Fotometrien kollossal. Und welcher Profi-Astronomen nimmt das schon in Kauf?

An dieser Stelle bietet sich für mich (P.R.) einmal die seltene Gelegenheit, ausführlich auf die lichtschwachen Reflexionsnebel einzugehen. Deshalb wird es heute ein etwas längerer Text. 2013 hat Dr. Arndt Lattußeck einen eindrucksvollen Vortrag auf der Bochumer Herbsttagung gehalten und in ausführlichen Bildern vorgestellt, was es mit Reflexionsnebeln, galaktischem Zirrus und dem so genannten "IFN" auf sich hat (siehe weiter unten). Dabei kamen alte Arbeiten zur Sprache, die es tatsächlich schon Anfang des letzten Jahrhunderts zum Thema lichtschwache Nebel gab. Die bekannteste Arbeit stammt von dem österreichischen Astronomen Johann Georg Hagen. Er hat solche lichtschwachen Nebel in den 1920er Jahren visuell entdeckt - tatsächlich: visuell! Damals war die Lichtverschmutzung offenbar noch nicht so wie heute. Diese Nebel heißen seitdem "Hagensche Wolken" und sind ganz klar hellere und größer zusammenhängende Bereiche des galaktischen Zirrus.

Lattußeck konnte einige der Hagenschen Beobachtungen auch selbst nachvollziehen - per Feldstecher, und hellere Hagensche Wolken unter dunklem französischem Himmel bestätigen. Fotografisch waren diese lichtschwachen Gebilde zu Hagens Zeiten nicht nachweisbar, denn die unsensibilisierten, höchstens orthochromatischen Filme der 1930er Jahre taugten nicht dazu, weil sie im Rotbereich völlig unempfindlich waren. Panchromatische, rotempfindliche Materialien kamen erst später. Als schließlich die weitwinkeligen POSS-Aufnahmen zur Verfügung standen, kam im wahrsten Sinne des Wortes "Licht ins Dunkel". Johann Georg Hagen - damals von vielen Seiten von seinen Profi-Kollegen stark attackiert - hatte Recht: Die lichtschwachen Nebel existieren. Oft genug hat er seine Beobachtungen mit Engagement vor der wissenschaftlichen Öffentlichkeit vertreten - aber immer wieder "abgeblitzt". Hagen gilt heute als rehabilitiert.

Sämtlich handelt es sich bei allen lichtschwachen Wolken um Reflexionsnebel. Zwei Amerikaner (Mandel und Wilson) haben den Nordhimmel fernab der Milchstraße fotografiert und fanden seltsame Nebelstrukturen, glaubten daher an neue Entdeckungen. Sie haben die Nebel insgesamt als "Integrated Flux Nebulae" (IFN) bezeichnet und die auffälligeren Exemplare mit ziemlich prosaischen Namen versehen, u.a. "angel nebula", "animal track nebula" oder "volcano nebula", wie man das in den USA halt gern macht (und auch bei uns gern drauf abfährt ...). Mandel & Wilson haben aber die deutschsprachige Literatur zu den Hagenschen Wolken offenbar niemals verfolgt, denn auf ihrer Webseite zum Thema IFN steht nicht der geringste Hinweis auf den guten Österreicher Hagen - na ja, warum hat Hagen auch nicht in englischer Sprache publiziert? Selbst schuld, gelle?

Im Amateurbereich taucht der Begriff "IFN" immer wieder auf. Was wollten Mandel & Wilson eigentlich damit aussagen? Die Bezeichnung "Integrated Flux Nebulae" ist sehr unglücklich gewählt, weil unter "flux" in der Astrophysik der Strahlungsfluss ganz allgemein zu verstehen ist. Selbst in der Datenbank Simbad wird der Begriff "flux" falsch verwendet, nämlich für die Angabe der Objekthelligkeiten (statt Magnitude). "Integrated flux" sind also sämtliche Wellenlängen, nicht nur die optischen, sondern auch die von UV und kürzer sowie IR und länger. Aber es sollte jedem einleuchten, dass Gamma-, Röntgen- oder Radiowellenlängen nicht zur Sichtbarmachung des IFN beitragen, nur die optischen Lichtwellenlängen. Mandel und Wilson schreiben doch tatsächlich: "... nebulae that are illuminated not by a single star (as most nebula in the plane of the Galaxy are) but by the energy from the integrated flux of all the stars in the Milky Way". Tja - liebe Leute: Integrated Light Nebulae ILN anstelle von IFN wäre korrekter gewesen.

Der Begriff IFN sollte also mit Vorsicht verwendet werden - besser: galaktischer Zirrus. Und das Missverständnis wird noch größer, denn einige Astrofotografen verstehen allein schon unter dem Wörtchen "Flux" solche lichtschwachen Nebel ... falsch. Und falsch ist es auch, was ich schon einige Male auf fremden Webseiten gelesen habe: Bei dem galaktischen Zirrus handelt es sich nicht (!!!) um extragalaktische Nebelwolken, sondern um galaktische Nebel. Das Wort "galaktisch" bedeutet "zu unserer Galaxis (der Milchstraße) gehörend". Was in direkter Umgebung der Galaxien M 81/M 82 zu sehen ist, ist nur zu einem kleinen Teil galaktischer Zirrus, der zwischen uns und M 81 liegt. Ein großer Teil dieser Nebel um M 81/82 sind bogenförmige Wechselwirkungsrelikte aus früheren Zeiten, als sich beide Galaxien sehr nahe kamen.

Anmerkungen: Mit dem heutigen AdW konnte Frank Breslawski ein bemerkenswertes Ergebnis erzielen. 13 h 12 min Belichtungszeit bei Blende 2 entspricht dem gleichen Photonengewinn, wie wenn ca. 53 h bei Blende 4 belichtet würde. Da kann man nur sagen: Chapeau! Hinzu kommt, dass die Bildbearbeitung sehr ordentlich vorgenommen wurde, wenngleich die Sternfarben ... na ja, es ist schon alles gesagt.

Das AdW-Team bedankt sich für das ansprechende Bild und gratuliert Frank Breslawski herzlich zum Astrofoto der Woche!

 

Peter Riepe
Bildautor: Frank Breslawski

 

Koordinaten von Polaris (J2000.0):
RA = 02 h 31 min 49 s, DE = +89° 15' 51"

 

 

 

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