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Platz 1 - Yannik Akar

47. Woche - Was hat sich denn da in Sh2-129 versteckt?

Fotografiert von: Yannick Akar | | Astrofoto der Woche

Heute wird ein AdW präsentiert, das in der Belichtungszeit schon extrem ist. Yannick Akar ist der Bildautor. Er ist neu im Kreis der AdW-Astrofotografen, daher begrüßen wir ihn hier ganz herzlich! Er zeigt uns seine Darstellung einer HII-Region, die seit jeher das Interesse der Astrofotografen auf sich gezogen hat: Sh2-129. Diese HII-Region liegt im Cepheus, und zwar etwa 4° nordwestlich des Cepheusnebels IC 1396, in welchem der bekannte Elefantenrüssel IC 1396A steckt. Die Frage ist, ob der Emissionsnebel Sh2-129 einen geschlossenen Ring bildet oder ob er nach Nordwesten hin geöffnet ist. Das Bildfeld beträgt 156' x 116' mit Norden etwa oben und Osten links. Dazu dann weiter unten.

Zu den Aufnahmedaten: Yannicks Sommerprojekt war das größte, das er in seiner bisher 2-jährigen Laufbahn als Astrofotograf durchgeführt hat. Der Bildautor schreibt: "Insgesamt stecken 54,8 h Belichtungszeit und etwa 20 h Bearbeitung in diesem Bild, aufgenommen mit dem RASA 8" bei f/2. Viele andere Aufnahmen dieses Objekts entstanden nur mit einem Hα- und einem [OIII]-Filter für eine Bicolor-Aufnahme. Ich habe mich jedoch zu weiteren 14 h im [SII]-Kanal entschieden, um noch einen Hauch von Gold/Gelb entlang seines Randes hinzuzufügen. Alle Aufnahmen entstanden in meinem Garten in Mannheim, mit etwa 4 h an [OIII]-Belichtungen, welche ich im Pfälzerwald bei einem guten Himmel (Bortle 4) einfangen konnte, um Ou 4 mehr Kontrast zu verleihen."

Etwas detaillierter: Kamera war eine ZWO ASI 1600 MM Pro. Hα wurde 310 x 3 min belichtet, [OIII] sogar 700 x 2 min und 280 x 3 min für [SII]. Dazu kamen in R, G und B jeweils 80 x 30 s für die Sterne. An Filtern wurde verwendet: Baader RGB 2", Baader f/2 Highspeed [SII], Baader f/2 Highspeed [OIII] und schließlich Baader f/2 Highspeed Hα. Die Montierung war eine iOptron CEM60, nachgeführt wurde per Omegon Microspeed Guide Scope 60 mm, Nachführkamera war eine ZWO ASI 120MM.

Das Bild selbst kann die Anfangsfrage nicht klären, ob der Nebel nach Nordwesten hin offen oder geschlossen ist. Dazu ist das Bildfeld noch zu knapp. Das Zusatzbild 1 zeigt einen im Kontrast und in der Helligkeit stark bearbeiteten Ausschnitt aus dem Himmelsatlas Aladin. Die Frage ist damit geklärt: Sh2-129 bildet einen geschlossenen Ring, am Nordwestende zwar sehr lichtschwach, aber eindeutig.

Kommen wir jetzt zum Glanzobjekt in diesem AdW. Es ist der blau leuchtende Nebel Outters 4, ab jetzt kurz Ou4 genannt. Vielfach liest man, Ou4 sei ein Planetarischer Nebel. Das ist aber nicht die ganze Wahrheit – die folgt jetzt in vereinfachten Zügen. Ou4 ist benannt nach Nicolas Outters. Der französische Amateurastronom entdeckte den Nebel im Juni 2011, als er mit einem FSQ 106 (f/5) die HII-Region Sh2-129 aufnahm. Er hatte 18 h in Hα belichtet, 8 h in [SII] und 12,5 h in [OIII]. Die [OIII]-Filterung zeigte dann eine völlig unbekannte neue Nebelstruktur. Ou4 ähnelt den bipolaren Planetarischen Nebeln M2–9 (Corradi, Balick & Santander-Garcia 2011) und KjPN8 (Lopez et al. 2000). Das Problem ist jedoch: Welcher Stern ist der ionisierende Zentralstern?

Wer möchte, schaue sich jetzt das Spektrum von Ou4 an (Zusatzbild 2). Es stammt aus der Arbeit von Acker A., Boffin H.M.J., Outters N. et al. (2012) und entstand am 2,1-m-Teleskop des Observatoriums San Pedro Martir in Mexiko. Im Spektrum dominiert die doppelte [OIII]-Linie bei 496 nm und 501 nm. Die längerwellige Linie 501 nm ist rund 3,5-mal stärker als die bei 496 nm. Die Summe der [OIII]-Emission ist 5,5-mal stärker als die von Hα. Eine dermaßen hohe Anregung ist nur möglich, wenn ein sehr heißer Zentralstern vorliegt! Die Zentralsterne der PNe sind üblicherweise Weiße Zwerge (also alte Sterne !!!) mit effektiven Temperaturen zwischen 50.000 und 100.000 K. Im geometrischen Zentrum von Ou4 und damit auch ungefähr im Zentrum von Sh2-129 steht HD 202214. Das wäre ja eine einfache Lösung. Aber HD 202214 hat leider nicht die erwarteten Eigenschaften eines PN-Zentralsterns, er besitzt nämlich den Spektraltyp O9,5 und eine Masse von 37 Sonnenmassen (Tetzlaff et al., 2011). Das passt ganz und gar nicht zu einem PN-Zentralstern: Ein dermaßen junger Stern? Kein alter, weißer Zwerg? Ein PN ist aber immer das Endstadium einer Sternentwicklung. Das passt also überhaupt nicht zusammen! Es gibt noch weitere Komplikationen: Megier (2009) schätzte die Entfernung von HD 202214 zu 1032 ± 144 pc. Das sind rund 3400 Lichtjahre. Und genau diese Zahl passt absolut nicht zur Größe des PNs. Im Bild selbst misst man für Ou4 einen Längsdurchmesser von 74'. Das ergäbe einen wahren Durchmesser von rund 70 Lichtjahren - doppelt so groß wie M 42 und mehr als unwahrscheinlich für das ausgestoßene Material eines Sterns „in den letzten Zügen“. Drehen wir den Spieß um und setzen jetzt einmal voraus, Ou4 wäre in seiner wahren Größe vergleichbar mit anderen bipolaren PNe (1 Lj). Dann käme Ou 4 bei 74' auf eine Entfernung von rund 150 Lj. Auch das passt nicht! Um die Verwirrung schließlich noch zu vergrößern: Für die HII-Region Sh2-129 publizierten Brand & Blitz (1993) eine Entfernung von 400 ± 130 pc, rund 1300 Lichtjahre. Damit kann HD 202214 mit 3400 Lichtjahren auch nicht der Zentralstern der HII-Region Sh2-129 sein. Hier bleibt für die Forschung noch viel Raum!

Aber möglicherweise handelt es sich auch gar nicht um einen Planetarischen Nebel, sondern um einen bipolaren Gasausstoß, der von einem bisher nicht erforschten Begleiter von HD 202214 stammt. Der Stern ist nämlich nicht nur ein O-Stern, er hat auch noch zwei Begleiter, die allerdings sehr eng am Stern stehen. Vorsichtigerweise sollte man also nicht von einem PN reden, sondern von einem bipolaren Nebel. Wenn die Profi-Astronomen die Ausstoßgeschwindigkeit an den Jet-Spitzen messen könnten, ließe sich bei genauer Sternentfernung auch das Alter des Ausstoßes berechnen. Damit würden dann einige offene astrophysikalische Fragen geklärt.

Anmerkungen: Zunächst einmal ein dickes Kompliment! Es war ein Belichtungsmarathon von 54 Stunden und 50 Minuten bei Blende 2!!! Das muss man sich einmal vor Augen halten. Insbesondere waren es nicht – wie beim Entdecker Outters – nur 12,5 h bei Blende 5 in [OIII], sondern 23 h 20 min bei Blende 2 in [OIII]. Insofern ist die Ausbeute an Photonen dementsprechend hoch geworden, was dem Objekt selbst gut tat. Ich habe in verschiedenen Foren und auf verschiedenen Webseiten bereits Bildbeiträge von Sh2-129 mit Outters 4 gesehen, aber keines dieser Bilder ist dermaßen tief wie Yannicks Ergebnis. Dass es sich um eine Falschfarbenaufnahme handelt, dürfte hier allen klar sein. Das Ziel des Bildautors war es, den bipolaren Nebel Outters 4 wohl strukturiert und möglichst tief abzulichten, und das ist ihm bestens gelungen. Selten sieht man die Jet-Spitzen dermaßen scharf als Stoßfronten ausgebildet. Und insofern freut sich das AdW-Team, dass Yannick sein Bild hier auf Astronomie.de erstmals als Astrofoto der Woche eingereicht hat.

Noch ein Nachsatz: Die Belichtung war dermaßen kräftig, dass die Frage des Rauschens nicht mehr auftritt ...

 

Das gesamte Team bedankt sich herzlich beim Bildautor und gratuliert zum Astrofoto der Woche.

Peter Riepe
Bildautor: Yannick Akar

 

Koordinaten (J2000.0) von HD 202214:
RA = 21 h 11 min 48 s, DE = +59° 59' 12"

 

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