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THALES VON MILET UND DIE VORHERSAGE DER SONNENFINSTERNIS VOM 28. MAI 585 V. CHR.

Thales von Milet (– 624; -546 1)) war ein vielseitiger Mann und wirkte vermutlich als Philosoph, Staatsmann, Mathematiker und Astronom. (Milet ist eine Stadt nahe der Westküste Kleinasiens (heute Balat (Türkei), 37° 31′ 52″ N, 27° 16′ 32″ O 10).) Bücher des Thales sind nicht überliefert 9). Was über Thales bekannt ist, stammt aus Darstellungen anderer, die zumeist nicht seine Zeitgenossen waren. Insbesondere werden ihm Leistungen in Astronomie und Mathematik zugeschrieben. Herausragend sind hier die Vorhersage einer Sonnenfinsternis und Arbeiten über geometrische Fragen. Mit der Vorhersage der Sonnenfinsternis hat es folgende Bewandtnis:

Am tiefblauen Himmel war keine Wolke, als sich am 28. Mai im Jahr 585 vor Christus in Kleinasien Krieger der Lyder und Meder zum Kampf gegenüberstanden. Der Krieg zog sich bereits seit Jahren hin, ohne dass eine der Mächte einen entscheidenden Vorteil erringen konnte. Aber heute würde es anders sein, davon waren viele überzeugt. Und so geschah es. Plötzlich verfinsterte sich die Sonne, der Tag wurde zur Nacht, wie es durch Thales von Milet verheißen worden war und von tiefem Schrecken erfasst, gaben die Krieger den Kampf auf. Die verfeindeten Parteien schlossen Frieden. So gelang es dem Astronomen Thales von Milet, mithilfe der Astronomie, das Leben zahlloser Menschen zu retten.

Wirklich? So oder so ähnlich findet man die Darstellung jener Begebenheit in verschiedenen Quellen. Man könnte diese Episode auch noch weiter ausschmücken, um den Ruhm des Thales als Friedensbringer zu vergrößern und den Wert der Wissenschaft herauszustellen. Aber ist das so richtig? Die Sache scheint fast ein wenig zu schön, um wahr zu sein.

Es ist Herodot (ca. -488; -424 1)), der „Vater der Geschichtsschreibung“ 2) genannte, der uns diese Episode mitteilt. Lassen wir ihn selbst zu Wort kommen: „Als nun Alyattes die Skythen nicht herausgeben wollte auf Kyaxares Mahnung, erhob sich ein Krieg zwischen den Lydern und den Medern an fünf Jahren in welcher Zeit oftmals die Lyder über die Meder, oftmals aber die Meder über die Lyder den Sieg davon trugen, auch hielten sie einmal eine nächtliche Schlacht. Als aber der Krieg sich gar nicht entscheiden wollte und sie im sechsten Jahr wieder aneinander waren, begab es sich, dass mitten im Treffen aus Tag auf einmal Nacht ward. Und dieselbige Tagesverwandlung hatte Thales von Miletos den Ionern vorher verkündiget und zur Zeit gesetzet dieses Jahr, darin auch die Verwandlung sich zutrug Die Lyder aber und die Meder, als sie sahen, dass aus Tag Nacht geworden ließen ab von dem Kampf, und eilten Friede zu machen miteinander. Und die Friedensstifter waren Syennesis der Kiliker und Labynetos von Babylon.“ 4)

Da sind wenigstens zwei Vorgänge, die wir unterscheiden sollten: Die Vorhersage durch Thales und das Ende der Feindseligkeiten zwischen den Lydern und den Medern. Die Vorhersage richtete sich an die Ioner, nicht an die Kriegsparteien 4) 5). Die Krieger waren nach Herodot von der Sonnenfinsternis beeindruckt, nicht von der Vorhersage des Thales. Wie sollten sie auch? Wäre es nach ihrem Kenntnisstand ein vorhersagbares Ereignis, wäre es kaum Anlass für religiös motiviertes Erschrecken. Die Kriegsparteien werden also von Thales Vorhersage nichts gewusst haben. Abgesehen davon war die Sonnenfinsternis auch am späteren Nachmittag 6), und falls man schon den ganzen Tag im Kampfe sich befand, wie Herodot mitteilt, war sie vermutlich willkommener Anlass für eine Unterbrechung. Wie auch immer: Mit dem Friedensschluss hatte Thales wohl nichts zu tun.

Bleibt die Vorhersage der Sonnenfinsternis. Herodot erwähnt, Thales habe das Jahr vorhergesagt, nicht das genaue Datum. Nun könnte man annehmen, wer imstande sei, das Jahr einer totalen Sonnenfinsternis für einen Ort zu bestimmen, müsste wohl auch den genauen Tag benennen können. Panchenko 5) erläutert ausführlich, dass dies nicht notwendig so sein muss und zeigt, wie Thales aus wenigen Angaben über frühere Sonnenfinsternisse auf gewisse Zyklen geschlossen haben mag (ähnlich, jedoch als kurze Bemerkung auch in 1)). Es werden nur wenige Ereignisse der Betrachtung zugrunde gelegt und weder geheimnisvolles und überbordendes Datenmaterial unbekannter babylonischer Astronomen noch atemberaubende mathematische Kenntnisse seiner Quellen unterstellt. Danach hätte Thales also etwas abgeleitet, das ihm aufgrund der Datenlage plausibel schien, und hätte dabei einfach Glück gehabt. Glück insofern, als die Zyklen komplizierter sind, als es Thales vermutlich klar sein konnte und Glück auch dahingehend, dass die vorhergesagte Sonnenfinsternis total war. Gerade das Zweite ist wichtig, was jeder, der eine partielle Sonnenfinsternis beobachtet hat, bestätigen wird. Auch bei einer Durchmesserabdeckung von mehr als 0,8 ist dieses Ereignis völlig unspektakulär und kann durchaus unbemerkt bleiben – etwa, wenn während der Finsternis auch einige Wolken vor der Sonne vorbeiziehen oder wenn man gerade davon in Anspruch genommen wird, nicht totgeschlagen zu werden, wie es für etliche Meder und Lyder an jenem Nachmittag zutreffen mochte. Diese Deutung macht nach Panchenko auch verständlich, warum sich nach Thales die Vorhersagen von Sonnenfinsternissen nicht so bald wiederholten.

Vergessen wir auch nicht, dass Herodot etwa ein Jahrhundert nach Thales lebte. So muss man auch fragen, in welcher Reihenfolge Vorhersage und Ereignis standen. Wir haben keinen Anlaß Thales zu misstrauen, aber nicht Thales spricht hier zu uns, sondern Herodot. Es ist jener Herodot, der von sich selbst sagt, ihm obliege es zu berichten, was berichtet wird, aber nicht, dies alles zu glauben 3). Denkbar ist, dass Thales über Sonnenfinsternisse gearbeitet hat und vielleicht auch dies und das davon öffentlich wurde. Doch der gewissenhafte Prophet wartet den Eintritt der Ereignisse ab 7). Dabei ist es gar nicht nötig, Thales Unredlichkeit zu unterstellen. Die Geschichte zeigt, wie oft und leicht die Dinge in der Rückschau verdreht werden. Eine einzige missverständliche Bemerkung kann dafür ausreichen. Jeder mag sich selbst fragen, wie zuverlässig er Ereignisse zu berichten vermag, die ein Jahrhundert vor seiner Zeit stattfanden und auf wen er sich dabei beruft. Selbst bei jüngeren Begebenheiten, wie etwa einem kleinen Unfall an einer Straßenecke wird man oft widersprüchliche Darstellungen der Zeugen erfahren. Und schon eine Woche später werden diese Berichte ganz anders ausfallen. Dies sei hier angeführt, da Panchenkos nützliche Überlegungen Thales auch eine gewisse Leichtfertigkeit zu unterstellen scheinen. Diese erscheint aber wenig plausibel, da Thales mit einem Missgriff leicht seinen Ruf als Gelehrter beschädigt haben würde und als Mathematiker vermutlich auch keine besondere Neigung zu voreiligen Behauptungen hatte. Und sagt nicht Herodot selbst nur, Thales habe es den Ionern vorhergesagt? Welchen Ionern er sich mitteilte, wie viele es waren und wie weit vor dem Ereignis Thales sich äußerte, erwähnt er nicht. [Ingo Wulf]

Quellen

1)         Lexikon der Antike, Bibliographisches Institut Leipzig, 1971

2)         Cicero (-106;-43) nennt ihn so in „De Legibus“, Buch 1, Abschnitt 5, vergl. http://www.thelatinlibrary.com/cicero/leg1.shtml#5

3)         Herodot, Historien, Buch 7, Abschnitt 152, Satz 4 (in der Übersetzung), „Ich aber muß alles sagen, was erzählt wird; zu glauben brauche ich aber nicht alles, und das gilt für meine ganze Geschichte.“ nach der Übersetzung von Friedrich Lange, Hrsg. Dr. Otto Güthling, Verlag Philipp Reclam jun., Leipzig vergl. http://www.gasl.org/refbib/Herodotos__Geschichten.pdf

4)         Die Geschichten des Herodotos, Buch 1, Abschnitt 74, übersetzt von Friedrich Lange, Erster Teil. Klio. Euterpe. Thalia. Melpomene.; Breslau, 1824, Verlag Josef Mar und Komp., zitiert nach http://books.google.de/books?id=4SRHAAAAIAAJ&printsec=frontcover&dq=bibliogroup:%22Die+geschichten+des+Herodotos%22&hl=de#v=onepage&q&f=true

Grundlage der digitalisierten Fassung ist ein Exemplar des Buches aus der University of California mit Bestandsstempel von 1873.

5)         Panchenko, Dmitri.: Thales's Prediction of a Solar Eclipse. Journal for the History of Astronomy xxv (1994), vergl. http://articles.adsabs.harvard.edu/cgi-bin/nph-iarticle_query?1994JHA....25..275P&data_type=PDF_HIGH&whole_paper=YES&type=PRINTER&filetype=.pdf

6)         Wikipedia, deutsch, Sonnenfinsternis vom 28. Mai 585 v. Chr.: http://de.wikipedia.org/wiki/Sonnenfinsternis_vom_28._Mai_585_v._Chr.

7)         Volksmund

8)         Lexikon der Antike, Bibliographisches Institut Leipzig, 1971

9)         Reallexikon des klassischen Altertums, 1914, Reprint 2005, Verlag Manuscriptum

10)       Wikipedia, deutsch, Milet; http://de.wikipedia.org/wiki/Milet

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