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Die Präzession

von Dr. Norbert Gasch

Schon seit längerer Zeit ist bekannt, daß sich unsere Erde um die eigene Achse dreht. Dabei steht ihre Rotationsachse 23,5 Grad schräg zur Senkrechten auf der Bahnebene. Dieser auch "Schiefe der Ekliptik" genannte Winkel ist zufälligen Ursprungs und führt zu der Erscheinung der Jahreszeiten.

Nun ist die Erdachse im Raum aber nur in erster Näherung stabil ausgerichtet. Bei genauerem Hinsehen führt sie eine Reihe von Bewegungen aus. Eine davon ist die Präzession, die dazu führt dass sich die Erdachse in rund 25.800 Jahren einmal um die Senkrechte auf der Bahnebene herumbewegt.

Diese Senkrechte auf der Bahnebene definiert, nebenbei bemerkt, die Pole der Ekliptik. Sie liegen in den Sternbildern Drache und Schwertfisch. Die Bewegung wird dadurch ausgelöst, dass die Erde um ihre schräg stehende Achse rotiert und dabei leicht abplattet ist - sie ist deswegen am Äquator dicker als über die Pole gemessen. Weicht ein Körper von der Kugelform ab, so wird seine Form im Wirken der Schwerefelder aber wesentlich. Nun bewegt sich die Erde natürlich um die Sonne, und die Schwerkraft der Sonne zwingt die Erde nicht nur auf ihre Umlaufbahn, sie greift auch am Äquatorwulst der Erde an und wirkt auf die Erdachse aufrichtend. Dabei ist ausschlaggebend, dass die sonnenzugewandte Erdseite etwas stärker angezogen wird als die sonnenabgewandte - ansonsten höbe sich der Effekt auf.

Die Rotation der Erde hat nun eine merkwürdige Folge: das Trägheitsmoment der Erde weicht dem aufrichtenden Zug der Sonne nämlich rechtwinklig aus, so dass statt einer Verringerung der Achsneigung eine Wanderung der Erdachse im Raum resultiert, wobei sich der Neigungswinkel relativ zur Erbahnebene nicht ändert (Abbildung 1).

In der Folge wandert die Erdachse in nun rund 25.800 Jahren einmal im Kreis herum, und zwar gegen die Richtung der Erddrehung. Dabei hat der Mond einen beachtlichen Anteil an der Präzessionsrate; seine Schwerkraft wirkt analog der der Sonne. Ohne die Berücksichtigung der lunaren Schwerkraft läge die Länge eines Präzessionszyklus nicht bei 25.800 sondern bei etwa 81.000 Jahren; der Mond allein würde die Erde zu einem Präzessionszyklus von etwa 39.700 Jahren veranlassen.

Die Präzession ergibt sich aus dem Rotationsverhalten der Erde. Die Erde ist infolge ihrer Drehung abgeplattet und besitzt am Äquator dementsprechend einen Wulst. Außerdem steht die Erdachse unter einem Winkel von 23,5 Grad schräg, relativ zur Senkrechten auf der Ekliptik.

Die Schwerkraft der Sonne greift nun auch am Äquatorwulst der Erde an (rote Pfeile). Auf der sonnenzugewandten Seite ist diese Kraft wegen der geringeren Distanz etwas größer - die Schwerkraft nimmt ja mit dem Quadrat des Abstandes ab. Es resultiert ein aufrichtend wirkendes Moment (violette Pfeile), das die Neigung der Erdachse aufzuheben beabsichtigt. Wegen der Rotation der Erde weicht die Erde dieser aufrichtenden Kraft allerdings rechtwinklig aus.

Dieses Verhalten ist eine Folge der Massenträgheit und lässt sich beispielsweise an Spielzeugkreiseln gut beobachten, die man anstößt. Dadurch beginnt die Erdachse auf einem Kegelmantel mit rund 47° Öffnung (eben das Doppelte von 23,5°) zu wandern. Die Sonne allein würde die Erdachse zu einer Präzessionsperiode von 81.000 Jahren veranlassen. Dieser solaren wird nun die lunare Präzession überlagert. Die lunare Präzession allein würde die Erdachse in 37.900 Jahren kreiseln lasen.

Das Zusammenspiel von Sonne und Mond (lunisolare Präzession) verkürzt die Präzessionsperiode auf etwa 25.800 Jahre für einen vollen Umlauf der Erdachse.

Die Präzession zeigt zwei deutliche Folgen

Zum ersten verändert sich die Lage der Jahreszeiten auf der Umlaufbahn. So ist ja immer dann Sommeranfang, wenn die nördliche Erdhalbkugel in Richtung Sonne weist und Winteranfang, wenn dies die südliche tut. Da der Anfang der Jahreszeiten gut aus dem Sonnenlauf (so aus der Tageslänge oder dem Sonnenstand am Himmel zur Mittagszeit) zu ermitteln ist, ist ihre Bestimmung einfach.

Beobachtet man gleichzeitig den Sternhimmel, so fällt auf, daß sich das Sternbild, in dem sich die Sonne scheinbar beim Eintreten der Jahreszeiten befindet, langsam verändert. Man stellt fest, dass die Sonne heute vor den Sternen des Sternbildes Fische steht, wenn der Frühling beginnt; entsprechend steht die Sonne vor den Sternen der Konstellationen Zwillinge, Jungfrau und Schütze, wenn es Sommer, Herbst und Winter wird, aber diesen Positionen wird nicht soviel Aufmerksamkeit zuteil. Astronomisch bedeutsamer war und ist der "Frühlingspunkt", also die Position der Sonne relativ zu den Sternen beim Eintritt des Frühlings.

Natürlich sind die Sternbilder tagsüber nicht zu sehen, aber der Effekt wirkt sich auch auf die kurz vor Sonnenaufgang sichtbaren Tierkreissternbilder aus, die der Mensch schon in der Frühzeit beobachtet hat.

Der "heliakische" Aufgang, also das Erscheinen eines Sterns oder Sternbildes am Morgenhimmel bevor es hell wird, hatte bei vielen Völkern - so den Ägyptern - eine wichtige Funktion als Kalendermarke.

Durch die Präzession verschiebt sich die Lage der Erdachse im Raum, ohne dass sich der Neigungswinkel relativ zur Senkrechten auf der Erdbahn ändert. Die Jahreszeiten ergeben sich aus der Richtung der Erdachse in Bezug auf die Sonne.

Die Präzession führt nun dazu, dass sich die Eintrittsdaten der Jahreszeiten und die damit verbundenen Positionen der Erde auf ihrer Umlaufbahn, ändern.

Gleichzeitig mit der Position auf der Umlaufbahn ändert sich auch der Anblick des Sternhimmels. Steht heute die Sonne zu Frühlingsanfang vor den Sternen des Sternbildes Fische, so werden das in 6.450 Jahren die Sterne der Konstellation Schütze sein, in 12.900 Jahren die der Jungfrau und in 19.350 Jahren die der Zwillinge.

Schematisch lässt sich dies folgendermaßen erklären. Abbildung 2 zeigt die Erde auf ihrer Umlaufbahn um die Sonne. Die Erdachse ist nun in eine bestimmte Richtung orientiert und aus ihr ergeben sich die Eintrittsdaten der Jahreszeiten. Verändert sich die Ausrichtung der Erdachse nun, so wandern die Jahreszeiten gewissermaßen um die Erdbahn herum.

Am irdischen Himmel hat dies folgende Konsequenz: der Frühlingspunkt wandert durch die Sternbilder. Abbildung 3 illustriert dies einmal.

Die Position, die die Erde zum Frühlingsanfang einnimmt, verschiebt sich durch die Präzession im Laufe von 25.800 Jahren einmal um die Erdbahn herum. Heute erscheint die Sonne zum Frühlingsdatum vor den Sternen des Sternbildes Fische zu stehen, in 6.450 wird sie vor der Konstellation Schütze stehen, in 12.900 Jahren vor dem Sternbild Jungfrau und in 19.350 Jahren vor den Sternen des Tierkreissternbildes Zwillinge.

Visiert man bei Frühlingsanfang einmal von der Erde über die Sonne hinweg, so scheint sich die Sonne vor den Sternen des Sternbildes Fische aufzuhalten. In etwa 6.450 Jahren wird sich die Sonne hingegen vor den Sternen des Sternbildes Schütze finden, in 12.900 Jahren vor denen des Tierkreisbildes Jungfrau und in 19350 Jahren vor jenen der Konstellation Zwillinge.

Vor 2000 Jahren, und das weiß man aus historischen Überlieferungen, war das in sofern anders, als dass die Äquinoktien und Solstitien in den Sternbildern Widder, Krebs, Waage und Steinbock lagen. Die Bezeichnungen "Wendekreis des Krebses" und "Wendekreis des Steinbocks" leiten sich davon ab.

Zum zweiten verändert sich der Himmelsanblick, den man von einem bestimmten Ort aus genießen kann. Der Punkt, um den sich der Himmel dreht ist bekanntlich der Himmelspol (Am nördlichen steht zur Zeit der Polarstern). Er bleibt in seiner Lage am irdischen Himmel konstant, solange sich nicht die Erdoberfläche relativ zur Erdachse verschiebt, und das geschieht nur in sehr langen Zeiträumen durch die Kontinentaldrift. Man gewinnt aber den Eindruck, als würde sich der Himmel im Laufe der Zeit dazu verschieben. So passieren mitunter Sterne nah einen der Himmelspole - dann gibt es für einige hundert Jahre einen "Polarstern", außerdem werden zeitweise Sternbilder am Südhimmel sichtbar, die man ansonsten nicht sieht.

Nun ist die Verschiebung der Sternpositionen mit etwa 50,38 Bogensekunden pro Jahr recht deutlich, insbesondere, weil sie sich im Laufe der Jahrhunderte akkumuliert, und deswegen ist es schon antiken Astronomen möglich gewesen, durch präzise Beobachtung des Himmels dem Phänomen der Präzession auf die Spur zu kommen. Man verbindet heute die Entdeckung der Lunisolarpräzession mit Hipparch von Nicäa, der sie im 2. Jahrhundert vor der Zeitrechnung erstmals erwähnte - ohne allerdings den Grund dafür zu kennen.

Misst man die Zeit von Frühlingsanfang bis Frühlingsanfang exakt, so stellt man fest, daß das tropische Jahr, wie diese Zeitspanne genannt wird, wegen des relativ zur Bahnbewegung entgegengesetzten Fortschreitens der Präzession etwas kürzer ist als das siderische Jahr. Das siderische Jahr stellt die Zeitspanne dar, in der die Erde exakt einmal um die Sonne herumwandert und dauert 365,2564 Tage. Das tropische Jahr hingegen dauert nur 365,2522 Jahre. Aus Zweckmäßigkeitsgründen - die Jahrzeiten waren wegen ihrer Bedeutung für die Landwirtschaft immer von besonderem Interesse - rechnet die Menschheit seit langer Zeit mit diesem tropischen Jahr, das eigentlich etwas kürzer ist als der wirkliche Umlauf der Erde um die Sonne.

Für den Beobachter ist sicherlich eine der interessantesten Auswirkungen der Präzession darin zu sehen, daß sich die Himmelspole langsam im Laufe der Zeit verschieben. Für die Nordhalbkugel der Erde sind dabei vielfach vereinfachende Darstellungen im Umlauf, die die Präzessionsbewegung als einen Kreis mit 23,5 Grad Durchmesser um den Pol der Ekliptik herum schematisieren. Diese Vereinfachung trifft den wahren Sachverhalt aber nur teilweise; in Wirklichkeit beschreibt die Präzessionsbewegung über die Jahrtausende eine recht komplizierte Rosettenlinie am Himmel, da die Erdachse auch durch die Schwerefelder der Planeten beeinflusst wird.

Die Nutation wird durch die Neigung der Mondbahn gegen die Erdbahn ausgelöst. Da die Mondbahn selbst rasch in 18,6 Jahren um die Erde herum präzidiert, prägt die Abweichung des Mondes von der Erdbahnebene der Erde eine zusätzliche Schwankungsbewegung auf.

Innerhalb von 9,3 Jahren schwingt die Erdachse auf 18,4 Bogensekunden hin und her. Der Effekt der Nutation ist also um Größenordnungen kleiner als der der lunisolaren Präzession.

Betrachtet man die Nordhalbkugel (Abbildung 4), so passiert der Himmelspol im Laufe der Jahrhunderte verschiedene Sterne. Um das Jahr -11500 lag so der helle Stern Wega (Alpha Lyr) nahe des Himmelspoles.

Vor allem bei nahen Sternen tritt die Eigenbewegung am Himmel über so lange Zeiträume deutlich in Erscheinung. In der Folge lag Wega damals 3,6 Grad vom Pol entfernt, also rund ein Grad mehr als die heutige Position vermuten läßt. Um -7500 war es Tau Herculis; um -5000 lag HR5635, ein schwaches Sternchen im Sternbild Bärenhüter, dem Himmelspol recht nahe.

Um -2795 kam dann Thuban an den Himmelspol, eben Alpha Draconis, der im Zusammenhang mit den ägyptischen Pyramiden mitunter genannt wird.

Bis gegen 850 gab es dann keinen helleren Polarstern, und um diese Zeit wurde es HR 4892 im Sternbild Giraffe. Zur Zeit, also um das Jahr 2000, ist es Polaris. Bis ins Jahr 3000 wird der Himmelspol ein paar schwächere Sterne passieren, aber wegen der Nähe des helleren Polaris wird diese wohl niemand als Polarstern heranziehen (außer Astronomen, natürlich). Um 4000 wird Errai, auch Gamma Cephei genannt, in die Nähe des Poles gerückt sein und um 6800 wird Alkurhah, eben Zeta Cephei, an dieser Stelle liegen. Um 7500 kriecht der Himmelspol zwischen Alderamin, das ist der Stern Alpha Cephei, und Nü Cephei hindurch und um 10000 bis 11000 wird Deneb in der weiteren Nachbarschaft des Poles liegen, ohne allerdings Polarstern zu werden, denn dafür ist er deutlich zu weit entfernt.

Am nördlichen Himmel geraten im Laufe der Zeit einige helle Sterne in die Nähe des Poles. Interessanterweise ist der derzeitige, nämlich Polaris (Alpha Ursae Minoris), sowohl einer der helleren als auch einer der nahe an der Bahn des Himmelspoles liegenden Vertreter.

In der Vergangenheit gab es lange Zeit keinen hellen Polarstern. Um das Jahr 1000 herum war es HR 4892, um -2900 herum Thuban (a Draconis). Herausragend ist nur die Wega (Alpha Lyr), die um -11.500 Polarstern war, aber nicht besonders dicht am Pol lag.

In der Zukunft werden Sterne in der Konstellation Cepheus bis etwa ins Jahr 8000 folgen. Deneb (Alpha Cyg) ist zu keiner Zeit nahe am Pol und eigentlich auch kein Polarstern. Der Weg des Himmelspoles ist rot dargestellt, dazugehörige Zeitmarken ebenfalls Von Punkt zu Punkt sind es 1.000 Jahre. Die am Wege liegenden Polarsterne sind blau gekennzeichnet (ekliptikales Koordinatensystem)

Auf der Südhalbkugel (Abbildung 6) führt der Präzessionsweg allgemein durch sternenreichere Gebiete. Um -11800 lag der Stern Nü Puppis nahe dem damaligen Himmelspol. Um -10950 wurde der schwache Stern HR 2203 passiert, um -10500 Eta Columbae. Der Stern Delta Caeli kam um -7930 dem Himmelspol auf weniger als zwei Bogenminuten nahe, was durchaus bemerkenswert ist. Der schwache Stern Lambda Horologii wurde vom Himmelspol gegen -3650 passiert. Der deutlich hellere Stern Alpha Hydri wurde um -2900 Polarstern auf der Südhalbkugel der Erde und um -2000 durch Eta Hydri abgelöst.

Um -1000 lag die Kleine Magellansche Wolke im Bereich des südlichen Himmelspoles, um das Jahr 0 herum war es Beta Hydri. Bis heute hat es dann keinen hellen Polarstern mehr gegeben, und gegenwärtig ist es Sigma Octantis, ein recht schwacher Stern von nur 5,44 Größenklassen.

Um das Jahr 4000 herum werden kurz nacheinander die Sterne Delta und Gamma Chamaeleontis Polarsterne werden. Um 5000 wird I (groß i) Carinae nahe an den Himmelspol heranrücken. Um 5700 wird Omega Carinae die Rolle des Polarsterns spielen und schon bald von Nü Carinae abgelöst, der dem Pol um 6750 ndZ nahekommen wird.

Am südlichen Himmel geraten im Laufe der Zeit wesentlich mehr helle Sterne in die Nähe des Poles als am nördlichen, da hier sternenreiche Gebiete der Milchstraße gestreift werden.

Zur Zeit ist das schwache Sternchen Sigma Octantis sicherlich kein besonders eindrucksvoller Polarstern. In der Vergangenheit lagen aber um das Jahr Null herum Beta Hydri nahe des Poles und um -1000 herum sogar die Kleine Magellansche Wolke! Um -3.000 war Alpha Hydri Polarstern, und ganz in der Nähe lag auch Achernar (Alpha Eri), einer der hellstern Sterne überhaupt.

Ein sehr naher Polarstern war Delta Caeli im Jahr -7930. In der Zukunft werden um das Jahr 4000 Sterne in der Konstellation Chamaeleon Polarsterne, danach einige helle Sterne im Sternbild Carina (Schiffskiel) zwischen 6000 und 8000. Hellster Polarstern wird Delta Velorum um 9240.

Darstellung und Kennzeichnung erfolgt wie in Abbildung 6.

Hier, in einer Region relativen Sternenreichtums, werden nun mehr hellere Sterne passiert als zuvor. Um 8100 steht Iota Carinae nahe des Himmelspoles - nur 12 Bogenminuten von ihm entfernt! -, um 9240 wird Delta Velorum in den gleichen geringen Abstand geraten. Der Stern würde praktisch genau vom Himmelspol getroffen, hätte er nicht eine Eigenbewegung, die in von der Polposition wegführt. Um 10.000 bis 11.000 ndZ werden die Sterne Gamma Velorum und Chi Carinae dem Pol allgemein nahestehen; in geringer Distanz passiert werden die Sterne V und J Puppis.

Der hier dargestellte Zeitraum umfaßt jeweils 12.000 Jahre in die Zukunft wie in die Vergangenheit. Geht man darüber hinaus, werden mögliche Abweichungen vom bisher bekannten Verhalten der Erdachse immer unwägbarer und die Bewegung der Sterne am Himmel wird immer größer. Unter Vorbehalt kann man aber noch etwas weiter in die Zukunft schauen: So wird im Jahr 26.000 der nördliche Himmelspol vermutlich nahe des Sterns HR 7955 an der Grenze der Sternbilder Cygnus und Cepheus liegen, im Jahr 30.000 inmitten der Hyaden und nur etwa sechs Grad vom Stern Aldebaran entfernt und im Jahr 50.000 auf halben Wege zwischen Mizar und Alioth im Großen Wagen. Es wäre einmal amüsant zu wissen, ob dann noch jemand zu den Sternen aufschaut und wer das sein wird.

Und warum ist das ganze nun von Interesse? Ganz einfach: astronomische Darstellungen aus dem Mittelalter oder der Antike lassen sich anhand der dort enthaltenen Positionsveränderung gegenüber heute datieren. Außerdem sind Überlieferungen denkbar - z.B. Höhlenmalereien, Tontafeln, Inschriften an Gebäuden - die sich auf Phasen mit auffälligen Polarsternen beziehen. Insbesondere für die Kulturen auf der Südhalbkugel, eben Australien und Südamerika, hat es da noch keine Forschungsansätze gegeben.

Das Sternbild Lyra (Leier) ist wegen der Nähe und recht hohen Eigenbewegung seines Hauptsterns Wega recht starken zeitlichen Veränderungen ausgesetzt. im Jahr -12000 (links) stand Wega rund ein Grad von ihrer heutigen Position (Mitte) entfernt. Im Jahr +12000 (rechts) wird sich ihre Position wiederum verändert haben. Die Eigenbewegung führt über lange Zeiträume auch bei weiter entfernten Sternen zu deutlichen Positionsveränderungen und nach etwa 100.000 Jahren zur praktischen Auflösung der bekannten Konstellationen.

Da sich mit weiter von der Gegenwart wegführenden Berechnungen Fehler in der Eigenbewegung (sie ändert sich mit der Zeit!) und im Präzessionsverhalten der Erde bekanntlich aufhäufen, ist eine Extrapolation natürlich nicht beliebig weit möglich.

Polarsterne am Nordhimmel

Jahr Stern Helligkeit
-11600 Wega (Alpha Lyr) 0,08
-10500 90 Her 5,14
-7500 Tau Her 3,87
-5000 HD 5635 5,25
-2795 Thuban (Alpha Dra) 3,63
850 HR 4892/93 5,74/ 5,28
2000 Polaris (Alpha UMi) 1,97
4000 Errai (Gamma Cep) 3,2
6800 Alkurhah (Zeta Cep) 4,41
7500 Alderamin (Alpha Cep) 2,43
10800 26 Cyg 5,05
11400 Delta Cyg 4,49

Polarsterne am Südhimmel

Jahr Stern Helligkeit
-11800 Nü Pup 3,15
-10950 HR 2203 5,54
-10500 Eta Col 3,93
-7930 Delta Cae 5,05
-3650 Lambda Hor 5,36
-2900 Alpha Hyi 2,84
-2000 Eta Hyi 4,68
-1000 SMC  
-100 Beta Hyd 2,78
2000 Sigma Oct 5,44
3800 Delta1/ 2 Cha 4,47/5,57
114100 Gamma Cha 4,08
5000 I Car 3,98
5700 Omega Car 3,28
6750 Ypsilon Car 2,99
8100 Tureis (Iota Car ) 2,21
9240 Delta Vel 1,99
10800 V Pup 4,51
11200 J Pup 4,23

Die vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Polarsterne gibt diese Liste wieder. Wie man erkennt, sind auf der Südhalbkugel mehr helle Polarsterne möglich. Sterne, die jenseits der Wahrnehm-barkeit des bloßen Auges liegen wurden nicht berücksichtigt. SMC bezeichnet die Kleine Magellansche Wolke, die sicher einen außergewöhnlichen "Polarstern" darstellt.

Literatur

Literatur

"Tidal friction and generalized Cassini´s Law in the Solar System", William Ward, The Astronomical Journal, 1975, S. 64-70

"Generalized Cassini´s Law", Stanton J. Peale, The Astronomical Journal, 1969, S. 483-489

Allgemeine Einführung in die Präzession: Grundkurs Astronomie, Reinhardt Lermer, BSV München, 1989, S. 45 ff.

Dr. Norbert Gasch
Arbeitsgemeinschaft Raumfahrt und Astronomie e.V.
Subbelrather Straße 454
50825 Koeln