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Über die Verwandlung eines Deep-Sky'lers zum Mondbeobachter

von Wolfram Russ, Oktober 2001

Ich hab's getan ! Wie kommt man als versierter Galaxienjäger eigentlich zu Mondbeobachtung? Lukas, Benno und Fritz sei Dank! Das sind so die Namen der letzten hartnäckigen Tiefs, die uns Spechtlern in Mitteleuropa ein gehöriges Maß an Frustrationsresistenz abverlangt haben. Mein Eingeständnis im "Kollegenkreis" zog schon die eine oder andere hochgezogene Augenbraue oder manch besorgten Blick nach sich. Nun, ich bin nicht der einzige Verzweiflungstäter und fand in Uli Zehndbauer ebenfalls einen Abtrünnigen - aus gleichem Beweggrund.

Neulich war es dann endlich mal wieder so weit. Es war nach Wochen endlich abends klar geworden. Der Mond stand hoch am Himmel und so wurde aus der Not eine Tugend. Die Mitstreiter angerufen, den Refraktor ins Auto geworfen und zum Standort gefahren war eine Sache von einer halben Stunde. Wir haben südlich von Regensburg am Rand eines Bundeswehrübungsplatzes einen Ausweichpunkt, wenn die Bedingungen eine Anfahrt unserer Außensternwarte im Bayerischen Wald nicht rechtfertigen - wie heute. Für Mond oder Planeten, oder tagsüber Sonnenbeobachtung ist die Stelle ideal, weil meist recht gutes lokales Seeing herrscht. Mittlerweile sind wir auch bei den verantwortlichen Stellen der Bundeswehr mit Brief und Siegel akkreditiert, nachdem eine unheimliche Begegnung mit Feldjägern der Herrlichkeit fast ein Ende bereitet hätte. Wir fragen uns immer noch, wer wem damals unheimlicher war, zumal unsere Rohre manchem Laien wohl sehr rätselhaft erscheinen mögen.

Nachdem unsere Montierungen eingenordet und die Optiken ausgekühlt waren, ergaben Beugungsbildchen und Kleinstkraterbereiche am Terminator ein durchaus brauchbares Seeing. Nach ersten akzeptablen Anfängen wollte ich mich auch heute wieder im Zeichnen von Mondformationen üben. Die Entscheidung fiel schnell auf Gassendi und Umgebung. Gassendi war als Ellipse schnell im Umriß aufgetragen ebenso weiter südlich Mersenius samt Rillen. Kurzer Check- Proportionen und Abstände passen so weit - es soll ja keine Doktorarbeit werden. Aber dann ! jeder Blick bringt immer mehr Einzelheiten - Berghänge, Verwerfungen, Schlagschatten, kleine Krater, verschiedene Grauwerte - Detailgefuzzel!!!

Wo fange ich an, wo höre ich auf, Details auf's Papier zu bringen? Insgeheim verwünsche ich schon das gute Seeing. Aber selber schuld. Das Ding muß jetzt fertig werden. Jetzt kommen zunächst die schwarzen Schattenpartien mit 3B. Die Umrißskizze beginnt allmählich plastisch zu werden. Zum Lockern dann zwischendurch schnell eine Basaltebene mit 2H. da ein Berg herausmodelliert. Die im Sonnenlicht gleißenden Kraterhänge bleiben ganz weiß. Wenn mich mein räumliches Vorstellungsvermögen narrt, greife ich zu dem Trick, selbiges auszuschalten. Ich versuche, das Gesehene der dritten Dimension zu berauben und als ebene Fläche mit unterschiedlichen Grauwerten umzusetzen. Wer sagt's denn! Ich komme relativ schnell voran.

Rudi schnürt vorbei: "Da sag ich jetzt 'mal nix dazu." ist sein Kommentar. Vater und Sohn Matyas sind neugierig, was diese gekrümmte Gestalt da so treibt. Nachdem beide das Dargestellte eindeutig unserem Trabanten zuordnen können, mache ich weiter. Der Bodenfrost kriecht allmählich in die Knie. Der Mond - von Wolf-Peter auch liebevoll Säufersonne genannt - steht ca. 50° hoch, das Stativ ist zu kurz und f/15 sind zu lang- zumindest für einen bequemen Einblick. So knie ich ehrerbietig und vor allem grotesk verbogen vor dem Okular, der Campinghocker dient als Arbeitsfläche. Der Blick geht immer zwischen Okular und Zeichenblatt hin und her, bis sich allmählich Zufriedenheit über das Produkt der Mühe einstellt. Noch ein paar Graustufen verfeinert - Fertig!

Rechtzeitig aufhören ist entscheidend, man läuft sonst Gefahr, die Zeichnung zu ruinieren. Die tiefschwarzen Schattenpartien werden zu Hause auf harter Unterlage noch retuschiert. Der Prozeß, aus dieser unanatomischen Körperhaltung nach einer Stunde wieder in die des Zweibeiners zurückzukehren, gestaltet sich schmerzhaft. Der Kommentar der anderen ist nicht ausschließlich niederschmetternd. Die Bäume sollen ja schließlich nicht in den Himmel wachsen. Ich stelle fest: unser alter oft verwunschener Erdmond hat einfach was. Diese fremde Welt ist allein schon ein ästhetischer Genuß und das Gesehene zeichnerisch festzuhalten, ist im Ergebnis sicherlich genau so interessant, wie Hickson- oder PGC-Lichtquantenkitzel. Vor allem hat man ungleich öfter Gelegenheit, sich hinter's Okular zu klemmen, als sehnsüchtig die nächste 6.3 nacht abzuwarten.