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Das unentdeckte Land - Von irdischen und außerirdischen Überlebenskünstlern

Der international renommierte Mikrobiologe und Astrobiologie Professor Dr. Karl Stetter im Gespräch

von Dr. Harald Zaun

H. Zaun: Das „Nanoarchaeum equitans“, der „Urzwerg, der auf einer Feuerkugel reitet“, ist mit einer „Körpergröße“ von 400 Nanometern weltweit nicht nur das kleinste Lebewesen, sondern auch extrem „gen-arm“. Gerade mal 520 Gene braucht es für seine rund 500.000 Basenpaare. Da stellt sich automatisch die Frage: Wie viele Gene braucht das Leben, zumindest das irdische?

Prof. Dr. Karl Stetter: Das ist natürlich eine interessante Frage, die wir mit diesem Organismus beantworten wollen. Aber beim Nanoarchaeum equitans habe ich auch schon mein Lehrgeld bezahlt. Damals wusste ich nicht, ob dieser Mikroorganismus frei lebt oder wirklich ein Parasit ist. Jetzt stellt sich heraus, dass er wirklich ein Parasit ist. Da stellt sich zwangsläufig die Frage: Wie viele Gene sind für einen freilebenden Organismus notwendig – oder eben auch für einen Parasiten, der enorm sparsam haushalten bzw. leben kann. Und dann verändert sich abermals die Fragestellung. Insofern können wir diese Fragen nicht endgültig beantworten, zumal keine freilebenden Verwandte vom Nanoarchaeum equitans existieren, so wie dies bei den anderen Parasiten eben der Fall ist.

H. Zaun: Ähnelt diese Problematik nicht ein wenig der Frage, ob ein Virus ein lebendes Wesen ist oder nicht?

Prof. Dr. Karl Stetter:Da haben Sie völlig recht. Viren sind wahrscheinlich so eine Art Zwischenform. Aber um die vorangegangene Frage abschließend zu beantworten: Zum Nanoarchaeum equitans, das ein winziges Genom hat, gibt es keinen nahen Verwandten; es gibt aber auch keinen DNA-Müll. Nichts muss dort entsorgt werden. Hieran schließt sich die interessante Frage, ob das Nanoarchaeum equitans schon von Beginn an, also vor Jahrmilliarden derart klein gewesen war.
Wie hat das Leben damals angefangen? Mittlerweile gibt es hier einige interessante Hypothesen. Eine davon ist, dass es nicht einzelne Organismen waren, die sich im Zuge der Evolution weiterentwickelt haben, sondern richtige Communities, die mit- und untereinander kommuniziert und beispielsweise einen Stoffaustausch gehabt haben. Vielleicht ist das Nanoarchaeum equitans ein Überbleibsel aus frühster Zeit; vielleicht ist es aber auch nur auf dem besten Wege, eines Tages ein vollständiges Bakterium zu werden.

H. Zaun: Die resistentesten Mikroorganismen können in extremer Kälte, in großer Hitze, bei hohen Salzkonzentrationen, bei basischen oder sauren Bedingungen, in großer Tiefe, unter starken Drücken, ja sogar im Vakuum sprich Weltraum problemlos überleben. Gibt es – abgesehen vom Erdkern – eigentlich noch irgendeinen Ort auf unserem Planeten, an dem diese Überlebenskünstler par excellence nicht überleben können?

Prof. Dr. Karl Stetter: Das ist eine spannende Frage, die ich mir auch schon mehrfach gestellt habe. Es hat mal geheißen, dass solch ein steriler Ort existiert. Und zwar in den heißen schwermetall-gesättigten Brühen in 'Atlantis II Deep' unter dem Roten Meer. Ergänzend hierzu ist anzumerken, dass es ein paar tausend Meter unter dem Roten Meer noch einen kleinen Ozean gibt, der durch Spalten zugänglich ist. Genau an diesem Ort habe ich Proben genommen und ein Bakterium entdeckt, dass in dieser extrem heißen salzigen Giftbrühe wächst. Natürlich ist mit zunehmender Temperatur einmal Schluss. Und wenn kein flüssiges Wasser zur Verfügung steht, geht auch nichts mehr, was aber nicht für Wüstenböden gilt, wo es auch flüssiges Wasser gibt und Mikroben gedeihen.

H. Zaun: In Ihrem überaus interessanten Aufsatz „Hyperthermophilic Microorganisms“ in dem hervorragenden Buch „Astrobiology – The Quest for the conditions of life“ schreiben Sie, dass möglicherweise tief unter der Mars-Oberfläche hyperthermophile Mikroorganismen existieren könnten. Ihrer Ansicht nach könnten diese sogar bei der Suche nach Leben auf dem Mars in Zukunft eine Schlüsselrolle spielen. Ist dies ein direktes Plädoyer für eine bemannte Mars-Mission?

Prof. Dr. Karl Stetter: Würde ich schon sagen. Das Problem beim Mars ist, dass momentan die Auflösung der Satelliten-Spione noch zu schlecht ist. Mit Kameras lassen sich natürlich keine Hinweise auf Leben finden. Interessanter wäre da schon die angedachte Ballon-Mission, die auf niedriger Höhe mit einer hochauflösenden Kamera über den Mars hinwegfliegen soll. So etwas ist ja geplant.

H. Zaun: Glauben Sie, dass wir auf dem Mars irgendwann Mikroben finden?

Prof. Dr. Karl Stetter: Das kann ich mir schon vorstellen!

H. Zaun: Würde dies auch auf eine neue Fachdisziplin, auf einen neuen Lehrstuhl hinauslaufen: Extraterrestrische Mikrobiologie?

Prof. Dr. Karl Stetter: Ja. Dies ist alles denkbar. Die Frage ist nur, was für eine Art von Mikroben wir hier vorfinden. Es könnten durchaus Mikroben sein, die ähnlich aufgebaut sind wie irdische Mikroorganismen. Das Faszinierende an unserem Leben auf der Erde ist ja – ganz egal, ob sie einen Menschen oder ein heißes bzw. kaltes Bakterium betrachten –, dass die molekularen Grundmechanismen praktisch identisch sind; sie sind wahnsinnig ähnlich. Wenn sich auf dem Mars Leben entwickelt hat, ist es einerseits natürlich verdammt schwer zu finden, andererseits wird es vielleicht molekular ähnlich sein, sich dafür aber ganz anders entwickelt haben.

H. Zaun: Würden Sie denn gefühlsmäßig davon ausgehen, dass Mikroben im Universum eine weitverbreitete Lebensform sind?

Prof. Dr. Karl Stetter: Das ist natürlich eine Glaubensfrage. Aber ich kann mir schon vorstellen, dass die Lebensbedingungen für die Ausbildung von Mikroben auf anderen Planeten sehr günstig sein könnten. Ob dabei aber Leben entstanden ist, bleibt offen. Hierfür müsste man zunächst einmal mehr über die Entstehung des Lebens auf unserem Planeten in Erfahrung bringen. In meinen neuesten Forschungsansätzen suche ich beispielsweise auch nach neuartigen Lebensformen und merke dabei immer mehr, wie schwer es ist, selbst auf der Erde 'Leben' überhaupt zu erkennen. Solange ich Viren, Mikroben, DNA, RNA etc. untersuchen kann, die ich kenne, ist das alles kein Problem. Aber in dem Moment, in dem es abweicht, wird es ganz schwierig. Wie dem auch sei - außerirdische Mikroben könnten ja längst auf der Erde angekommen sein, schließlich werden wir ja tagtäglich mit extraterrestrischem Material sprich Meteoriten bombardiert.

H. Zaun: Läuft alles nach Plan, dann wird Weihnachten 2003 die Beagle-2-Sonde der Mars-Express-Mission auf dem Mars aufsetzen und kurz darauf nach Spuren von marsianen Leben Ausschau halten. Hierbei wird nach hohen Konzentrationen von Kohlenstoff-12-Isotopen im Marsboden gesucht, die sozusagen als Abfallprodukt von Leben, wie wir es kennen, zurückbleiben. Halten Sie dies für eine sinnvolle Vorgehensweise?

Prof. Dr. Karl Stetter: Im Prinzip ist dies schon einmal ein guter Ansatz, obwohl es natürlich eine Art Glücksspiel ist. Aber irgendwo muss man mal reinkratzen, irgendwann mal anfangen. Ideal wäre natürlich, wenn man tiefer als zwei Meter bohren könnte. Auch auf der Erde gibt es entgegen den Behauptungen von anderen Forschern keine kohärente tiefe mikrobioelle Biosphäre. Eine solche existiert nicht. Es gibt nur Taschen. Ich habe beispielsweise im Rahmen des kontinentalen Tiefbohrprogramms in Europa mit kurzem Abstand in Alaska und in der Nordsee auf einer Ölplattform bei Bohrungen jede Menge Mikroben gefunden. Einen ähnlichen Erfolg habe ich eigentlich bei der Bohrung in der nördlichen Oberpfalz erwartet. Nichts habe ich dort gefunden, obwohl ich die gleiche Methode angewandt habe und unzählige Proben genommen habe. Mit anderen Worten: Auf der Erde gibt es immer Taschen, wo keine Mikroben anzutreffen sind. Dies könnte auch für den Mars gelten.

H. Zaun: Glauben Sie, dass die uns bekannte irdisch-biologische Evolution, der zufolge sich Leben immer von einfacheren zu komplexeren Strukturen bis hin zu Bewusstsein entwickelt ein universelles Gesetz ist? Glauben Sie, dass auch andere intelligente Lebensformen mit Mikroorganismen mehr oder minder in Koexistenz leben - so wie wir?

Prof. Dr. Karl Stetter: Das ist eine schwierige Frage. Der Mensch lebt halt nicht vom Brot allein, sondern denkt auch in anderen Dimensionen und fragt danach, ob auf anderen Planeten oder in anderen Sternsystem ebenfalls intelligente Lebensformen existieren. Ich könnte mir vorstellen, dass intelligente außerirdische Lebensform nicht so sind wie wir, sondern dass diese vielleicht völlig anders aussehen würden. Es könnten vielleicht Kohlenstoffwesen sein

H. Zaun: So wie wir?

Prof. Dr. Karl Stetter: In dieser Hinsicht schon wie wir. Es könnte auch sein, dass sich das Urleben dort ähnlich aufgebaut haben könnte.

H. Zaun: Sie sind sehr vorsichtig.

Prof. Dr. Karl Stetter: Sehr vorsichtig. Wenn wir mal wissen, wie es zur Entstehung der Eukaryonten und der Mehrzeller auf unserem Planeten gekommen ist, dann könnten wir solche Fragen im Rahmen von Experimenten besser angehen.

H. Zaun: Ihre Disziplin und die langsam heranwachsende 'extraterrestrische Mikrobiologie' bilden also zusammen, um es mal im Sinne von Shakespeare auszudrücken, noch ein unentdecktes Land?

Prof. Dr. Karl Stetter: Ja, auf jeden Fall.

H. Zaun: Dass Mikroben im All strahlungsresistent sind und überleben, dürfte den Befürwortern der Panspermientheorie auf jeden Fall Auftrieb gegeben?

Prof. Dr. Karl Stetter: Bei der eigentlichen Panspermie geht es um die größeren Distanzen. Bei den kleineren – also vom Mars zur Erde, wäre dies kein Problem. Ich würde sogar sagen, dass die einzelnen Bakterien, die ja unheimlich leicht sind, durch den Druck der Sonnenstrahlung praktisch angetrieben werden. Aber angesichts der ganzen Strahlung im Weltraum fällt mir der Glaube an der Panspermie relativ schwer. Hier müsste man intensiver forschen und mehr experimentieren. Wir wissen ja noch nicht einmal etwas Genaues über die Verbreitung von Mikroben auf der Erde. In Thüringen (Wismut-AG) beispielsweise habe ich in brennenden Kohle- und Uranhalden einen Sulfolobus gefunden, also einen Organismus, der eigentlich nach Island gehört. Ja, wo kam der denn her? Irgendwann muss er mal bei einem Vulkanausbruch hochgewirbelt und weitertransportiert worden sein – und ist auf ein schönes heißes Plätzchen runtergerieselt. Bei der Panspermie wäre das alles aber noch viel schwieriger und begrenzter.

H. Zaun: Wo sehen Sie denn neben Mars noch andere vielversprechende Kandidaten in unserem Sonnensystem, die Leben beherbergen könnten?

Prof. Dr. Karl Stetter: Der Jupitermond Europa – hier haben wir einen Eispanzer und darunter wahrscheinlich einen Ozean und einen Meeresgrund, in dem möglicherweise Mikroben eine Nische gefunden haben könnten. Das wäre die Hoffnung – beim Mars wäre dies ähnlich. Hier könnte man sich natürlich alle Temperaturlagen vorstellen. In der Urzeit des Mars etwa, als es bei dem großen Meteoriden-Bombardement zu einen massiven Stoffaustausch gekommen war, könnten Mikroben der damals entstandenen Hitze gefolgt sein. Oder sie haben sich im Zuge der Evolution und Abkühlung längst an niedrige Temperaturen angepasst. Ich bin kein Prophet, man muss einfach nachschauen. Der Saturnmond Titan hingegen ist eine ganz andere Geschichte. Dort ist es wirklich eisig kalt, dort gibt es Methanwolken und dort existiert so eine Art Ursuppen-Szenario.

H. Zaun: Aber dennoch lässt sich dort Leben nicht ausschließen?

Prof. Dr. Karl Stetter: Man kann es natürlich nicht ausschließen. Aber wir werden uns mit Sicherheit schwer tun, die Proben, die wir nehmen, richtig zu deuten. Dies ist nicht einfach.

H. Zaun: Die NASA plant für das Jahr die "Mars Sample Return Lander"-Mission, bei der marsiane Bodenproben gesammelt und zur Erde zurückgebracht werden. Sofern auf dem Mars Leben existieren sollte, besteht nicht – trotz der angedachten Quarantäne auf der ISS, wo das Gestein sozusagen "zwischengelagert" werden soll – die Gefahr einer Kontamination?

Prof. Dr. Karl Stetter: Als im Januar dieses Jahres in Madrid das europäische Zentrum für Astrobiologie eröffnet wurde, war ich einer der Festredner. Am Rande des Treffens kam ich auch mit dem NASA-Verantwortlichen für die „Mars Sample Return Lander“-Mission zusammen. Und der war ganz überrascht von meinen Forschungsresultaten, die ich dort präsentierte, vor allem von der Tatsache, dass es Mikroben gibt, die selbst nach stundenlangem Autoklavieren (=durch Erhitzung sterilisieren) nicht vernichtet werden konnten. Fakt ist: Ich habe Organismen, die bekommt man hierbei schlichtweg nicht tot. Der NASA-Officer sagte zu mir, dass er mich deshalb nochmals kontaktieren wolle.

H. Zaun: Das läuft darauf hinaus, dass sich eine Kontamination grundsätzlich nicht ausschließen lässt?

Prof. Dr. Karl Stetter: Es ist für einen seriösen Wissenschaftler immer schwierig, eine adäquate Antwort auf die Frage zu finden, ob er etwas 100%ig ausschließen kann. Gefühlsmäßig würde ich sagen, dass potentielle Marsmikroben nicht schädlich sind und uns nichts anhaben können. Die Wahrscheinlichkeit, dass solche zu uns bereits heruntergeschossen wurden, mit Meteoriten etc., ist sehr hoch. Man denke nur an die hohe Anzahl von Marsmeteoriten, die bislang in der Antarktis und anderswo aufgelesen wurden. Böse Mikroben hingegen hätten uns doch längst aufgefressen [lacht!]. Aber das ist natürlich kein Beweis: Ein Restrisiko bleibt!

H. Zaun: Aber der umgekehrte Fall ist auch interessant. Theoretisch bestünde beispielsweise bei 'Beagle' oder 'Huygens' die Gefahr, dass der Lander ungewollt irdische Mikroben einschleppt, die für "einheimische" Kleinstlebewesen tödlich sein könnten.

Prof. Dr. Karl Stetter: Das hängt davon ab, wie gut die Sonden im Vorfeld sterilisiert wurden. Die NASA-Forscher haben es zwar gemacht. Die Frage ist aber: Wie gut?

H. Zaun: Wie kann man verhindern, dass ein irdischer Lande-Roboter zu einer interplanetaren Büchse der Pandora verkommt?

Prof. Dr. Karl Stetter: Wie gesagt – Kontaminationen kann nie ganz ausschließen. Umgekehrt könnte von oben etwas ganz Böses kommen, das zwar noch nie einen Menschen gesehen hat, in uns aber das ideale Futter sieht [lacht!].

All images courtesy H. Huber, M. Hohn, R. Rachel & K.O. Stetter, Univ. Regensburg, Germany

Dieses Interview erschien auch auf  telepolis.de

Über Professor Dr. Karl Stetter

Jenseits des Makroskopischen, auf einer Ebene, die dem menschlichen Auge gänzlich verborgen bleibt, existiert ein Universum incognita, ein "unentdecktes Land", von dem die Wissenschaftler bislang bestenfalls nur Randgebiete erforscht und maximal ein Prozent seiner Bewohner kennen gelernt haben. Die Einheimischen dieser unzugänglichen Welt, sprich die Mikroben bzw. Mikroorganismen setzen sich aus Bakterien, Viren, Einzeller und Pilze (Pilzbakterien) zusammen. Sie beleben dieses mikrobielle Universum in breiter und großer Vielfalt. Praktisch überall dort, wo Leben eine Nische gefunden hat, sind sie heimisch geworden. Bereits in einem Gramm Ackerboden tummeln sich zirka 100.000 solcher Kleinstlebewesen. "Die Gesamtmasse mikrobiellen Lebens auf unserem Planeten ist nahezu unkalkulierbar groß - man hat sie auf das 5-bis 25-fache der Masse allen tierischen Lebens geschätzt", spezifizierte einmal der bekannte englische Mikrobiologie John Postgate (University of Sussex) die quantitative Dimension der Mikroben. Signifikant für die "Qualität" derlei Lebensformen sind hingegen zwei Besonderheiten: Erstens vermehren sie sich in einem atemberaubenden Tempo; zweitens sind sie wie keine anderen irdischen Lebewesen in der Lage, selbst extremsten Umweltbedingungen zu trotzen. Im polareb Meereis, in heißen Quellen, bei hohen Salzkonzentrationen, bei basischen oder sauren Bedingungen, in großer Tiefe, also ohne Licht, unter starken Drücken, ja sogar im Vakuum, also Weltraum (ohne Sauerstoff) können sich diese Überlebenskünstler par excellence problemlos vermehren.

Karl Stetter, Inhaber des Lehrstuhls für Mikrobiologie und Archaeenzentrum der Universität Regensburg, ist ein Pionier in der Erforschung von Mikroorganismen, die unter Extrembedingungen leben. In seiner langjährigen Karriere hat Stetter schon mit vielen bizarren Geschöpfen aus dem Mikrokosmos Bekanntschaft gemacht - wie etwa mit dem 'Pyrolobus fumarii', das er mit einem U-Boot vom Grund des Atlantiks aus über 3.500 Metern Tiefe hervorzauberte. Dieses Bakterium, das Stetter am Rande einer hydrothermalen Erdspalte auf dem Meeresboden entdeckte, gedeiht mit Vorliebe bei Temperaturen zwischen 90 und 113 Grad Celsius. Stetter und sein Team entdeckten auch im untermeerischen Vulkangebiet nördlich von Island (Kolbeinsey-Rücken) erstmals Vertreter eines bisher völlig unbekannten Reiches von Archaebakterien (= Archaeen) . Dabei handelte es sich um die kleinste bisher bekannte lebende Zelle: eine winzige Kugeln mit einem Durchmesser von lediglich 400 Nanometer (= 0,4 tausendstel Millimeter). Sie sind damit beispielsweise im Volumen über 100x kleiner als eine E. coli Bakterienzelle und bereits im Größenbereich von großen Viren, z.B. dem Pockenvirus. Ungefähr 500.000 Vertreter dieser Archaeenart, die auf den Namen "Nanoarchaeum equitans" ("der reitende Urzwerg") getauft wurde, fände auf dem Punkt am Ende dieses Satzes bequem Platz.

Der kugelige Zwerg, der nicht alleine wächst, sondern auf der Oberfläche einer zweiten Mikrobe namens Ignicoccus ("Feuerkugel") "reitet", gehört also eindeutig zur Gruppe der Archaebakterien. Diese wachsen heute noch in Umgebungen, wie es sie vor mehreren Milliarden Jahren allerorten auf dem Planeten gab: in vulkanisch aktiven Zonen, kochenden Geysiren, heißen Schwefelquellen, konzentrierten Salzlösungen oder ätzenden Säurepfützen. Mit anderen Worten: Theoretisch könnten solche Überlebenskünstler oder deren nächste (oder entfernteste) Verwandte auch auf anderen Planeten gedeihen. Wie realistisch diese Spekulation ist, was von irdischen und insbesondere von außerirdischen Mikroben zu halten ist, wie das irdische und außerirdische "unentdeckte Land" aussehen könnte, verrät der (auch) astrobiologisch engagierte Mikrobiologe Prof. Karl Stetter in dem vorliegenden Interview.

Der Autor Dr. Harald Zaun

Harald Zaun (geb. 1962) ist promovierter Historiker und studierter Philosoph mit naturwissenschaftlichem Hintergrund (Universität Köln). Er arbeitet in Köln als freiberuflicher Wissenschaftsautor und Wissenschaftshistoriker und publiziert regelmäßig mit Prof. Dr. Harald Lesch. Der zweifache internationale Bestseller-Autor hat u.a. für die WELT, Süddeutsche Zeitung, Frankfurter Rundschau, Telepolis (Heise-Verlag) u.v.a. geschrieben. Schwerpunkte: Kosmologie, Astrophysik, Raumfahrt, Wissenschaftsgeschichte und primär Astrobiologie-SETI. Sein 2010 erschienenes Buch SETI – Die wissenschaftliche Suche nach außerirdischen Zivilisationen (Heise) wurde von der Max-Planck-Gesellschaft zur Lektüre empfohlen. Sein aktuelles E-Book trägt den Titel First Contact – Spurensuche nach kosmischer Intelligenz und die Gefahren (Heise, 2013). Mitglied der Deutschen Astrobiologische Gesellschaft (DAbG). Sein neues Werk mit Prof. Lesch erscheint 2019 im Bertelsmann-Verlag.

Unser Autor würde sich über einen Besuch seiner privaten Seiten unter www.haraldzaun.de freuen!

Interviewseite von Astronomie.de