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Ausdruck vom: Montag, der 18.03.2024

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Der Venus-Transit erlebt auf Deutschlands höchstem Gipfel

von Michael Risch

Ein Jahrhunderereignis: der Planet Venus überquert als schwarzer Schatten die Sonnenscheibe. Welcher Amateurastronom, der ein Teleskop in seiner Nähe hat will das schon verpassen? Letztes Jahr der Merkurtransit war schon hochinteressant, aber die Venus versprach wegen der dichten Atmosphäre, die vom Sonnenlicht durchleuchtet eventuell unbekannte Effekte erzeugt, ein ganz besonderes Spektakel.

Viele Amateure planten Reisen ins Ausland, auch unser Amateurteam bei Baader Planetarium, doch wohin soll die Reise gehen? Das wir wieder für Astronomie.de ins Internet übertragen wollten, stand nach dem Erfolg beim letztjährigen Merkur-Transit eigentlich außer Frage. Auch das ZDF hatte Interesse an einem Beitrag nachdem, wir zum Merkur-Transit und zu den Polarlichtern im letzten Jahr bereits Bilder für das "heute journal" lieferten. Nur: wohin? Ins wettersichere Ausland?

Wir entschlossen uns, zunächst zu Hause zu bleiben und abzuwarten was, der Wetterbericht sagen würde. Sollte es Sonntags vorm Transit mies aussehen, würden wir Schlafsäcke und Teleskope einpacken, in den VW-Bus steigen und fahren bis das Wetter passt. Doch nach einer Regenperiode überraschte ein anrückendes Hoch die Amateurastronomen in Deutschland - es sollte sonnig sein am Dienstag den 8.Juni 2004 , auch in München.

In den Wochen vor dem Ereignis wurde bereits unsere Ausrüstung (linkes Bild) ausgetestet: Apochromatische Refraktoren von Astro Physics und Zeiss mit Herschelkeilen, einem Solar Spectrum Research Grade Halpha Filter mit 0.2 A Durchlass sowie unser neuer UV-Filter.Als Kameras kamen eine Webcam, eine SBIG ST-2000XME CCD Kamera sowie zwei digitale Spiegelreflexkameras von Canon und Fuji ins Gepäck.

Das alles sollte auf einer Astro Physics 900 GTO mit kurzer transportabler Säule montiert werden.

Bei den Tests ist uns als erster Erfolg 2 Tage vor dem Transit ein Bild der Venus mit übergreifenden Sichelspitzen gelungen, der Kreis war zu 2/3 geschlossen, ein seltenes Foto (Bild rechts).

Was allerdings furchtbar störte, war das Seeing und der Pollenflug, Registax konnte die Venussichel überhaupt nicht bearbeiten und "verschluckte" sich ständig an den hellen Pollen.

Mein armer Kollege Margtin Rietze, unser Bildbearbeitungs- und CCD-Experte, hatte seine liebe Mühe die scharfen Fotos aus tausenden Bildern der Filme per Hand herauszusuchen und zusammen zu montieren.

Was wird das erst am 8.Juni, wenn 4 Kameras jede Minute 2 Bilder aufnehmen? Nur ganz weit oben ist die Luft "pollenfrei" und weil die Alpen quasi vor unserer Haustüre liegen, war auch schnell eine Idee geboren: Mitten auf der Zugspitze steht eine Baader-Kuppel, deshalb bestehen seit langen Jahren Kontakte zu den dort ansässigen Forschungsinstituten.

Man gestattete uns großzügig den Zugang zum Meßraum direkt unter der Kuppel - für einen Tag und eine Nacht. Mitten zwischen Computern und Analysegeräten konnten wir unser Lager aufschlagen - das uns damit entgegengebrachte Vertrauen ist gar nicht hoch genug zu schätzen, denn ein falscher Schritt, ein Rempler gegen einen stickstoffgekühlten Spektrografen, hätte für das Institut verheerende - und für uns sehr teure - Folgen haben können.

Nach Tagen des Organisierens, Testens und Packens hatten wir (Martin Rietze, Anne Baader, Thomas Baader und der Autor) Montags vorm Transit schließlich den VW-Bus voll geladen und nach weniger als 2 Stunden Autofahrt standen wir vor Deutschlands höchstem Berg, ein majestätischer Anblick.

Und dort sollten 2 Kubikmeter Gepäck hoch? Hoffentlich hält das die Seilbahn aus! Mit der Gondel ging es nach oben - von +25 Grad in + 5 Grad. Und - oh Schreck - die Zugspitze war umnebelt! Dichte Quellwolken hatten sich schon seit 11 Uhr vormittags durch die Sonneneinstrahlung und das verdunstende Wasser gebildet ! In den letzten Tagen war ein ganzer Meter Neuschnee gefallen der sich nun allmählich in Wolken verwandelte.

Deprimierend...dennoch wurde ausgepackt und aufgebaut, in der Nacht hätte schließlich die Montierung eingescheinert und die Instrumente zueinander justiert werden müssen, sollte es denn klar werden...und wenn nicht, dann wären wir "die Deppen der Nation", wie es Martin so treffend ausdrückte. Überall sonst in Deutschland war schließlich Sonnenschein angesagt. Doch nun gab es kein Zurück mehr.

Die ungewohnt dünne Luft ließ uns schnaufen, der Anblick vom Gipfel über die Alpenkette entschädigte jedoch schnell für die schweißtreibenden Mühen als sich gegen 20 Uhr die Gipfelwolke teilweise verzog und einigermassen die Sicht freigab: eine z.T.unglaubliche Fernsicht, klarste Luft fast 200km weit konnte man über die Alpen blicken, ein Gipfel ist an den anderen gereiht, Österreich, Italien, unter uns der Eibsee - dann der Sonnenuntergang (Bild3, oben) Einfach phantastisch, ein Erlebnis das alleine schon die Reise wert gewesen wäre.

Gegen 20 Uhr waren wir schließlich alleine, der Seilbahnbetrieb war eingestellt und außer uns niemand mehr auf dem Gipfelplateau - dachten wir. Ein einzigartiges Gefühl, alleine auf dem Dach von Deutschland.

Doch plötzlich - und um ein Haar unbemerkt - wollte jemand einfach die Tür zur Station absperren - von innen! Es folgten intensivste Verhandlungen mit dem noch anwesenden Personal der Gipfelstation und man gab uns (wohl beeindruckt vom ZDF Kamerateam) eine a b s o l u t e Ausnahmeerlaubnis: die Tür blieb auf, wir hatten damit weiterhin Zugang zum Meßraum, Strom zum Einscheinern der Montierung und durften auf dem Gipfelplateau bleiben - abgeschnitten vom Rest der Welt.

Installation und Test unserer Ausrüstung konnten fortgesetzt werden, im Raum sollte die Internetverbindung etabliert werden: Telefonstecker in die Dose und...nichts lief! Keine Verbindung. Die Telefondose war tot.Vom Institut war niemand mehr zu erreichen und auch die Hilfe eines letzten Bediensteten der Zugspitzstation, der noch geblieben war, brachte kein Ergebnis.

Die Übertragung auf Astronomie.de schien gestorben. Es gab nach stundenlangem Experimentieren mit den Rechnern nur noch eine Idee: das Tagesrestaurant (obwohl offiziell geschlossen) hätte eine ..... einzige Telefondose mit der "unglaublichen" Übertragungsgeschwindigkeit von 14.400 bps - wie in der Steinzeit des Internets, da könnte man jedes Bit mit Handschlag begrüßen.

Aber selbst das war erst am nächsten Morgen zu testen. Es wird ein knappes Rennen, das zeichnete sich jetzt ab. Aber aufgeben war nicht mehr drin. Das Glück war uns weiter hold, es blieb lange genug klar, um einzuscheinern -obwohl der Gipfel für launische und sehr schnelle, heftige Wetterwechsel bekannt ist. Erst nach Mitternacht wurde uns bewußt, das wir morgen lange vor Sonnenaufgang aufstehen müssten.

Schnell in die Schlafsäcke, sieben Mann in einem Raum...die Nacht wurde nicht besonders erholsam, keine Heizung, Außentemperatur ca. - 10 Grad. Diese Tortur, mitten im Sommer, "unten" ist jetzt Sommerstimmung, keine Ahnung ob morgen das Wetter hält, oder ob die Wolken schon am Vormittag wieder dicht machen... wir müssen verrückt sein, dachte sicher manch einer.

Erbarmungslos holte uns um 4:30 der Handywecker aus den gerade eben beginnenden Träumen, aber mit Eiswasser die Zähne putzen hat einen erstaunlichen "Hallo-Wach!"- Effekt.

Die endlich wolkenlose Sonne ging noch viel schöner auf, wie sie sich abends verabschiedet hatte: in allen erdenklichen rötlichen Farbtönen, die sich auf den weißverschneiten Berggipfeln widerspiegelte und die Landschaft bis in weite Ferne unwirklich, fast marsianisch erscheinen ließ. (Bild 4, oben)

Schnell, ans Teleskop, direkt hinter dem Gipfelkreuz müsste sie aufgehen! Nebelschwaden waberten über den Gipfel, eine Lichtsäule aus Eiskristallen stieg empor - und da kam sie. Alle Instrumente auf "GO"!

Die Internetverbindung im Restaurant war technisch möglich, wenn auch langsam, und hatte einen Nachteil: ich musste mich mit dem Not-Laptop an einen Tisch auf der Sonnenterasse setzen, das Modemkabel durch´s Fenster in den Schankraum - gespannt wie eine Gitarrensaite.

Die Bilder mussten also über die ca. 100m Distanz von der Fernrohrterrasse - per Diskette (!) - zu mir gebracht werden - eine sagenhafte "Datenübertragung" - sozusagen per reitendem Boten... und was wird das erst, wenn die ganzen Touris den Berg entern und essen wollen - und was macht der Restaurantpächter aus mir, wenn wir einen halben Tag sein Telefon lahmlegen (wollen..)? Alle, die Ihr diese Übertragung gesehen habt, seid dem Mann dankbar - er hat es alles klaglos ausgehalten !

Nach Kalibrierungsarbeiten mit stocksteifen Fingern gewann Minute für Minute das Adrenalin mehr die Oberhand, Kälte, Hunger und Durst waren vergessen und dann...eine schwarze Einkerbung in der Sonnenscheibe - Alarm, die Venus! Der Sucher mit der Videokamera zum Nachführen ist falsch eingestellt....Hektik...Durcheinander...endlich läuft alles - und das Fernsehen wünscht ein Interview.

Mit den Sonnensichtbrillen war der schwarze Punkt deutlich auch ohne weitere vergrößernde Optik sichtbar, phantastisch, das hat zuletzt ein Mensch vor 122 Jahren gesehen.

Nach der erste Stunde Hektik war unser Team sehr gut aufeinander eingespielt: Martin Rietze überwachte die Rechner und zog alle paar Minuten ein Bild auf Diskette, abwechsend rannte jeder mal hin und her im Tanz um die Touris und brachte mir "ein einzelnes Bild nach dem anderen" oder unterstützte Martin am Rechner beim Überwachen der Funktionen, beim Nachfokussieren und Nachjustieren der Teleskope und natürlich beim "Blendenwechsel". (Bild 5, rechts).

Sechs Stunden lang - alle 30 Sekunden - wurde die Blende vor dem H -alpha Fernrohr manuell auf und wieder zugemacht, um jeweils ein Bild mit Betonung auf die (verd. spärlichen) Protuberanzen und ein weiteres mit Schwergewicht auf die Oberfläche machen zu können - das zu automatisieren war uns nicht mehr rechtzeitig gelungen.

Um 10 Uhr ging dann der Ansturm richtig los:

Japaner, Italiener, Chinesen...Touristenmassen auf dem Fernrohr-Plateau und auch dichtes Gedränge vor meinem Platz vor der Wirtschaft, dazwischen ein siebzigjähriges, selbsternanntes, sehr bayerisches Musikgenie, welches unsere angespannten Nerven abwechselnd mit Alphorn-Röhren, mit unglaublichen Klängen aus diversen Posaunen, Trompeten und Quetschen - ja sogar mit gejodeltem Volksgut - bis in die Grundfesten erschütterte. Wir konnten ja im Gegensatz zu allen anderen Menschen auf dem Platz nicht einfach weglaufen... .

Unsere Fernrohre waren mit Flatterband abgesperrt, dennoch wirkte der Trubel nach kurzer Zeit ziemlich bedrängend - solche Menschenmassen - die "unseren" bis dahin friedlichen Gipfel nun okkupierten. (Bild 6, links).Ich saß im Freien- wenige Meter weg von einem Grill mit Rostbratwürsten, Duftschwaden zogen mir um die Nase bis in´s Hirn. Die pralle Sonnenstrahlung auf 3000m Höhe mit hohem UV-Anteil kocht einen als Galeerensklaven richtig durch, trotz der nur +10 Grad Lufttemperatur.

Die jeweiligen Diskettenbilder für die steinzeitartige Übertragung einzurichten, lässt einem keinerlei Zeit für irgendeine Ausflucht - es blieb noch nicht mal Zeit, die über meinem Kopf verführerisch beworbenen bayrischen Schmanker´l zu verkosten (Bild 7, rechts), außer für Kaffee und Wasser war für nichts Zeit.

Das grelle Sonnenlicht schmerzt trotz Sonnenbrille in den Augen - das sollte noch stundenlang so gehen - die meisten Texte wurden blind eingetippt, weil man vor Helligkeit den Monitor nicht ablesen konnte (nur daher die Tippfehler...).

Zwischendurch gab der Server von Astronomie.de fast den Geist auf - aufgrund der vielen Zugriffe. Mit dem Handy war ein ständiger Kontakt in die "Lage-Zentrale" nach Homburg geknüpft, wo man sich nach Kräften bemühte den Server zu entlasten. Mein Laptop nebst einer Diskette stieg öfter wegen der Hitze in der Sonne aus, bei Martin versagte ebenfalls ein Rechner den Dienst für 20min., was eine Aufnahmeserie unterbrach. Ärgerlich, doch ansonsten gab es keine größeren technischen Probleme - kein Wunder, angesichts der fürsorglichen Art mit der die Daten "zu Fuss" in´s Netz geschaufelt wurden - wir hatten alle gut zu tun...

Vier Kameras schossen je 2 Bilder pro Minute im UV, Weißlicht (Übersicht), Weißlicht (Detail), und Halpha. Mehr als 100 Gigabyte Bilddaten entstanden in den folgenden sechs Stunden, die wie im Fluge vergingen.

Als das Venusscheibchen den Sonnenrand schließlich ohne ein deutliches Tropfenphänomen (Bild 9, links) verlassen hatte, war uns klar: die Mühe hatte sich gelohnt, wir waren als Amateure "live" dabei als Wissenschaftsgeschichte geschrieben wurde - beim ersten Venustransit im Computer- und Raumfahrtzeitalter.

Die saubere Verarbeitung der vielen Bilder zu Animationen ist sehr langwierig, ein erstes Ergebnis war im "heute journal" zu sehen, die hier gezeigten Bilder und Filme sind natürlich z.T. leider stark komprimiert.

Den Atmospärenring beim Eintritt/Austritt kann man auf den UV-Fotos erahnen, hätten wir nur länger belichtet! Dieses Phänomen ist uns zugunsten der auf unsere Animationen/Aufnahmeserien optimierten Belichtungszeiten leider fast entgangen (Bild 10, Bild11). Aber was soll's: die vielen hundert Fotos, Filme sowie der Bericht des "heute journal" - und der Sonnenbrand - werden uns noch lange an dieses einzigartige Erlebnis erinnern.

Vielen Dank an alle die dieses einmalige Erlebnis möglich gemacht haben, vor allem an die Fraunhofer-Gesellschaft für die Erlaubnis zur Nutzung ihrer Räumlichkeiten und an die Mitarbeiter der Gipfelstation für ihr Verständnis und die Bereitstellung der unbedingt notwendigen Absperrung.

Und zuguter Letzt noch ein ganz besonderes Dankeschön - an PETRUS, der uns so gnädig gesonnen war. Pünktlich - 10 Minuten nach dem vierten Kontakt - kroch auch schon die erste Quellwolke wieder über die Sonnenscheibe. So hat uns der gute Petrus doch tatsächlich davor bewahrt Martin's Ausspruch vom Vortag (...die "Deppen der Nation") auskosten zu müssen.

Michael Risch