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Standortbestimmung mit einfachen Mitteln

von Dr. Bernd Loibl

Wer gerne wissen möchte, wo er sich auf der Erdoberfläche aufhält, kann mit Hilfe eines Funkempfängers bei einigen GPS-Satelliten anfragen oder gleich einen Blick in seinen alten Schulatlas werfen. Er kann aber auch zur Tat schreiten und mit einfachen Mitteln seinen Standort selbst bestimmen. Egal welche der einfachen oder komplizierten Verfahren er wählt, stets stösst er auf die Begriffe der geographischen Länge und Breite. Was es mit beiden Größen auf sich hat, und wie sie durch einfache Sonnenbeobachtungen bestimmt werden können, soll dieser Beitrag beschreiben.

Dazu soll die Erde eine geometrisch exakte Kugel sein. Dass sie eher einem Rotationsellipsoid mit lokalen, unregelmässigen Abweichungen gleicht, soll hier bewusst vernachlässigt werden.

Durch die Wahl der Kugel hat jeder Ort auf der Erde den gleichen Abstand vom Erdmittelpunkt, so dass nur zwei Angaben notwendig sind, um einen Ort eindeutig auf der Erdoberfläche festzulegen.

Von grundlegender Wichtigkeit erweist sich die Rotationsachse, die die Erdoberftläche an den beiden Polen durchstösst (Abb. 1).

Schneidet man die Erdkugel so in zwei Hälften, dass die Schnittebene durch den Mittelpunkt der Erde geht und senkrecht zur Rotationsachse liegt, so erhält man als Schnittlinie auf der Erdoberfläche den Äquator. Die Linie auf der Erdoberfläche, die den Nord- und Südpol miteinander verbindet und dabei durch einen vorgegebenen Ort läuft, ist der Ortsmeridian.

Die Bestimmung der geographischen Breite

Die Erde wird ein zweites Mal durchschnitten, aber dieses Mal geht der Schnitt durch die beiden Pole und den ausgewählten Ort.

Die Abb. 2 zeigt den Blick auf diese Schnittebene. Die zum Erdmittelpunkt gerichtete Schwerkraft S legt die zu ihr senkrechte und durch den Ort gehende Horizontebene fest. Die geographische Breite ist der Winkel phi zwischen der Schwerkraftrichtung S und der Äquatorebene.

Jetzt kommen die Gestirne ins Spiel und strapazieren ein wenig das Vorstellungsvermögen. Während die Erdkugel etwas höchst Reales ist, stellt die nun folgende Himmelskugel ein abstraktes und gewöhnungsbedürftiges Gebilde dar. Man kann sie sich als Kugel vorstellen, die den gleichen Mittelpunkt hat wie die Erde, aber sehr viel grösser ist. Ihre wahre Grösse ist unwichtig, denn nur die Richtungen der Gestirne sind von Bedeutung, da darin alle gewünschten Informationen enthalten sind.

Dieses geozentrische Weltbild, in dem die Gestirne an die Himmelskugel geheftet sind, ist natürlich falsch. Dennoch lohnt es sich mit dieser Vorstellung zu arbeiten, da dadurch die Sachverhalte einfach und anschaulich werden.

In der Abb. 3 ist die gesamte Abb. 2 in den Mittelpunkt M der Himmelskugel hineingezwängt. Die Erdrotationsachse und die Äquatorebene werden so verlängert, daß sie die Himmelskugel schneiden. In Analogie zur Erdkugel gelangt man so zu den Himmelspolen und zum Himmelsäquator. Die entgegengesetzte Schwerkraftrichtung durchstösst die Himmelskugel im Zenit.In Verbindung mit Abb. 2 findet man so die Breite als Winkel zwischen der Zenitrichtung und dem Himmelsäquator. Die beiden Systeme Zenit - Horizont und Pol - Äquator sind beide rechtwinklig und um die Breite phi gegeneinander verdreht. Daher ist die Breite auch zugleich der Winkel zwischen dem Himmelspol und dem Horizont.

Versucht man, die Breite durch Beobachten zu ermitteln, so stösst man zunächst auf das Problem, daß weder Pol, noch Äquator, noch Zenit am Himmel markiert sind. Zufälligerweise steht nahe dem Himmelsnordpol in einem Abstand von ca. 3/4° der Polarstem, dessen Höhe daher unrüttelbar ein Mass für die Breite ist.

Eine andere häufig angewandte Methode benutzt die Mittagshöhe der Sonne, um die Breite als Winkel zwischen Zenit und Himmelsäquator zu ermitteln. Dabei lässt sich die Richtung zum Zenit mit Hilfe eines Lotes feststellen, während sich die Lage des Himmelsäquators indirekt über den Winkelabstand der Sonne zu dieser gedachten Linie ergibt. Dieser Winkeiabstand ist als Deklination delta in vielen astronomischen Jahrbüchern zu finden.

In Abb. 4 sind die Verhältnisse für einen Ort mit der Breite phi = 50° Nord und für die Sonne mit der Deklination delta = 20° Nord dargestellt. Die Sonne befindet sich über dem Ortsmeridian, so daß ein Beobachter sie dort genau im Süden sieht. Für ihn ist es also genau Mittag an diesem Ort. Nach Abb. 4 setzt sich die Breite phi aus der Deklination delta und dem Zenitabstand z zusammen:

Breite = Deklination + Zenitabstand.

In der Praxis benutzt man oft die Mittagshöhe anstatt des Zenitabstands. Da sich beide Winkel zu 90° ergänzen, gilt:

Breite = Deklination + 90° - Mittagshöhe.

Die Bestimmung der geographischen Länge

Die Überlegungen des vorigen Abschnitts haben ergeben, daß die Information über die Breite allein im Unterschied zwischen der Richtung der Schwerkraft und der Rotationsachse liegt (Abb. 2). Bei der geographischen Länge spielt nun die Rotation selbst die entscheidende Rolle.

Es seien wieder idealisierte Verhältnisse vorausgesetzt. Die Erde ist nach wie vor eine Kugel, die genau gleichförmig rotiert. In dem physikalisch falschen, dafür aber bequemen Modell der Himmelskugel, soll die Sonne Tag für Tag um die stillstehende Erde laufen. Daß die Sonne dabei streng genommen im Laufe eines Jahres um eine mittlere Position hin- und herpendelt, soll bewußt vernachlässigt werden, da es hier allein auf das Prinzip ankommen soll.

Abb. 5 zeigt einen Blick auf die Hirmmelskugel von einem Standort oberhalb des Himmelsnordpols. Der Blick geht also in Richtung der Rotationsachse, so dass die Äquatorebene mit der Zeichenebene zusammenfällt. In dieser Ebene befinden sich zwei Orte A und B auf der Erdkugel, und auch die Sonne soll in dieser Äquatorebene um die Erde laufen.

Jedes Mal, wenn nun die Sonne den Meridian von A überquert, sind vereinbarungsgemäß 24 Stunden vergangen und es ist dort genau 12 Uhr mittags. In dieser Zeitspanne hat sich die Sonne um den Mittelpunkt M der Himmels- und Erdkugel um einen Winkel von 360° gedreht. Eine Stunde später überquert sie den Meridian des Ortes B. Nun ist dort 12 Uhr mittags und in A ist es 13 Uhr.

Ort B liegt also eine Stunde bzw. 15° (= 1/24 von 360°) westlich vom Ort A. Wenn sich alle Beobachter darauf einigen, daß die Längenzählungen für Ae Orte der Erde beim Ort A beginnen sollen, so gilt für den Ort B die Aussage, daß seine Länge 15° West beträgt.

Heute gilt aus historischen Gründen als vereinbart, daß der Londoner Stadtteil Greenwich der Ort A ist. Die Zeit, die an diesem Ort gilt, ist die Weltzeit.

Woher weiß aber nun der Beobachter in B, daß seine Länge 15° West beträgt? Er kann ja durch seine Beobachtung nur den Augenblick festhalten, in dem die Sonne auf seinem Meridian steht. Der Beobachter in B könnte schnell zum Telefonhörer greifen und vom Beobachter in A erfahren, daß es am Ort A gerade 13 Uhr ist. Um die Telefonkosten auf Dauer niedrig zu halten, fährt der Beobachter von B einmal nach A und stellt dort seine Uhr nach der Zeit, die in A gilt. Diese Zeit nimmt er mit und kann nun nach Belieben auf der Erdoberfläche hin- und herreisen und an jedem beliebigen Ort die Länge bestimmen (das Mitnehmen von Uhren ist früher auch tatsächlich so gemacht worden).

Er braucht also lediglich den Zeitpunkt zu messen, in dem die Sonne auf dem Meridian steht, der zu seinem Aufenthaltsort gehört. In Hamburg beispielsweise würde ihm in diesem Augenblick seine Weltzeituhr stets 11:20 anzeigen. Seine Länge hätte er damit zu 40 Zeitminuten östlich von Greenwich bestimmt, bzw. zu 10° Ost (4 Zeitminuten = l°).

Bei dieser Art, die Länge zu bestimmen, muß der Moment des Meridiandurchgangs der Sonne so genau wie möglich abgepaßt werden. Ist der Moment erreicht, so ist es Mittag oder vereinbarungsgemäß genau 12 Uhr.

Dadurch hat man also die Zeit, die nur an diesem Ort gilt, ermittelt. Nach obigen Überlegungen ist also die Differenz dieser so erhaltenen Ortszeit zur Weltzeit identisch mit der Länge des betreffenden Ortes. Die Aufgabe, eine Länge zu bestimmen, ist daher identisch mit der Aufgabe, die Ortszeit zu ermitteln (und dann mit der Weltzeit zu vergleichen).

In früheren Jahren, als es noch keine geeigneten Uhren gab, die die Mitnahme einer Bezugszeit (wie heute die Weltzeit ) gestatteten, mußte diese zusätzlich zur Ortszeit bestimmt werden. Dazu wurden astronomische Ereignisse beobachtet, deren Zeitpunkte im voraus berechnet und veröffentlicht vorlagen. Beobachtet wurden Sonnen- und Mondfinsternisse, (z. B. schon von Columbus, vgl. SuW 34, 17 [1/1995]), Verfinsterungen von Jupitermonden, Winkelabstände heller Sterne und Planeten vom beleuchteten Mondrand und Sternbedeckungen durch den Mond.

Ein Experiment mit Stab und Schatten

In einem einfachen Experiment läßt sich, auch ohne den Einsatz sekundengenauer Uhren und präziser Winkelmeßgeräte, der eigene Standort überraschend genau selbst bestimmen. Alles was man dazu braucht, ist ein mittelgroßer Stab, dessen Länge bekannt ist und der senkrecht auf einer horizontal ausgerichteten Fläche steht.

Im Laufe eines Tages wird vor- und nachmittags die Schattenlänge zu verschiedenen Zeiten gemessen und die zugehörige Zeit in MEZ bzw. MESZ notiert. Da die Sonne im Süden ihre größte Höhe über dem Horizont erreicht, liegt es nahe, die kürzeste Schattenlänge abzuwarten.

Wie man im Laufe des Experiments feststellen kann, ändert sich während eines längeren Zeitraums um die Mittagszeit herum die Schattenlänge nicht. Damit ist es unmöglich, den Zeitpunkt des Meridiandurchgangs der Sonne zufriedenstellend zu bestimmen. Besser ist es daher, zwei Zeiten zu verwenden, zu denen jeweils am Vor- und am Nachmittag die Schatten gleich lang sind. Der Mittelwert beider Zeiten ist dann der gesuchte Zeitpunkt, zu dem die Sonne im Meridian stand. Aus der Schattenlänge zu diesem Zeitpunkt läßt sich über die Länge des Stabes die Mittagshöhe bestimmen.

Ein Beispiel möge das Verfahren abschließend erläutern. Am 28. August wurden gleiche Schattenlängen um 9:52 und 16:48 MESZ gemessen. Die Sonne stand daher um 13:20 MESZ oder 11:20 Weltzeit im Meridian. Die geographische Länge des Beobachters betrug daher 40 Zeitminuten Ost bzw. 10° Ost. Aus der Schattenlänge von 21 cm um 13:20 MESZ und der Stablänge von 30 cm wurde die Mittagshöhe mit einem Winkelmesser auf Millimeterpapier zu 55° ermittelt. Aus einem astronomischen Jahrbuch wurde die Sonnendeklination zu 10° Nord entnommen und damit die Breite des Standorts zu 45° Nord berechnet.

Dieser Artikel erschien bereits in "Sterne und Weltraum", 09/1995