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Chile - Reise zu den größten Sternwarten der Welt

von Joachim Biefang

Die großen Observatorien der Welt zu sehen, war schon immer mein Traum. Jetzt, als Reiseleiter astronomischer Reisen ist dies mit der Besichtigung vieler Observatorien und Großteleskope Wirklichkeit geworden.

Chile steht bei diesem Thema ganz oben an. Allein landschaftlich ist es bereits ein sehr interessantes Reiseziel: Atacamawüste, hohe Anden, Salzseen, Geysire und vieles andere mehr. Für den astronomisch Interessierten ist Chile schon fast ein Muss. Aufgrund hervorragender Standortbedingungen befinden sich hier die meisten Großsternwarten der Welt. Die ESO ist mit La Silla und dem Cerro Paranal vertreten, die Amerikaner mit den Großsternwarten Las Campanas, Cerro Tololo und Cerro Pachon. Und viele weitere Observatorien werden in Zukunft folgen.

La Silla

La Silla war die erste Sternwarte der ESO in Chile und beherbergt eine beeindruckende Zahl von Teleskopen. La Silla liegt nördlich der Küstenstadt La Serena am Südrand der großen Atacamawüste, ca. 80 km landeinwärts hinter der Küstenkordilliere, da sich über dem kalten Humboldtstrom des Pazifik oft Wolken bilden und ins Landesinnere vordringen. Dieser Standort auf 2400 m Höhe zeichnet sich durch gute Transparenz, geringe Luftturbulenz und fast 300 wolkenfreie Nächte aus.

Bereits im Jahre 1976 wurde hier ein 3.6 m Spiegelteleskop fertig gestellt. Es handelt sich um ein klassisches Großteleskop mit einem noch 60 cm dicken Hauptspiegel und imposanter Hufeisenmontierung. Für den Besucher ist es sehr eindrucksvoll, diese 200 t bewegte Masse in Aktion zu sehen.

Noch heute zählt dieses Teleskop nach umfangreicher Überholung zu den besten 4 m Teleskopen der Südhalbkugel. Es verfügt über den höchstauflösenden Spektrographen der ESO und hat mit einem weiteren hoch spezialisierten Spektrographen bei der Suche nach extrasolaren Planeten viel Geschichte geschrieben.

Diese Erfolge führten dazu, dass 1998 direkt nebenan das auf spektrographische Planetensuche spezialisierte 1.2 m Leonard Euler Teleskop erstellt wurde. Inzwischen sind weit über 100 extrasolare Planeten entdeckt worden – eine große Zahl davon von La Silla aus!

Doch nicht nur in diesem Bereich wurde in La Silla Geschichte geschrieben. Bekanntestes Projekt ist das 1989 hier fertig gestellte 3.6 m New Die Welt der hohen Anden Technology Telescope. Am NTT wurden die bahnbrechenden Konzepte der modernen Teleskopbau-Technik erprobt und realisiert, die schließlich zum Bau der berühmten VLTTeleskopanlage führten.

Zum ersten Mal ging man hier von der schweren äquatorialen Montierung zur azimutalen Montierung über, bei dem die Teleskopachse nicht mehr auf den Himmelspol zeigt, sondern das ganze Teleskop einfach auf einer horizontal liegenden Plattform dreht und dabei in der Höhe schwenkt. Die Beobachtungsinstrumente hängen nicht mehr unter dem Teleskop, sondern werden an einem zentralen Durchgang in den beiden Höhenachsen angeflanscht (Nasmyth Foki). Ein Rotationsadapter gleicht die bei einer nicht-äquatorialen Montierung auftretende Bildfeldrotation aus. Auf diese Weise können viel schwerere Beobachtungsinstrumente am Teleskop angebracht werden.

Als weiterer revolutionärer Schritt wurde hier die aktive Optik für die heutigen Großteleskope entwickelt. Beim NTT ruht ein 24 cm dicker Hauptspiegel auf 75 computergesteuerten Aktuatoren, die mit hoher Präzision dafür sorgen, dass der Spiegel in jeder Lage seine Idealform beibehält. Inzwischen kommt kein modernes Großteleskop mehr ohne diese aktive Spiegelunterstützung aus. Hier wurden sie entwickelt!

Cerro Paranal

Aufbauend auf den vielen Erfahrungen, die die ESO mit ihren Teleskopen in La Silla machen konnte, gelang dann der große Wurf: die weltweit bisher größte und bestkonzipierte Teleskopanlage auf dem Cerro Paranal. Sie besteht aus den vier zwischen 1998 und 2000 fertig gestellten 8.2 m VLT-Teleskopen, modernsten unterirdischen Lichtverzögerungstrecken zur interferometrischen Zusammenschaltung, drei auf dem Berg unterschiedlich positionierbaren 1.8 m Interferometrie-Hilfsteleskopen und zwei Vorbeobachtungsteleskopen von allein 2.5 und 4 m Spiegeldurchmesser. Solch "bescheidene" Sucherteleskope hätte wohl jeder gern neben seiner Garage!

In der Testphase hatte sich dieser 2635 m hohe Standort als erstklassig erwiesen. 1991 begann man mit den Bauarbeiten. 500 km nördlich von La Silla und 120 km südlich der Hafenstadt Antofagasta konnte man es wagen, einen Standort in der Küstenkordilliere nur 12 km vom Pazifik entfernt zu wählen. Belohnt wurde dies mit laminar anströmender Luft vom Pazifik, d.h. mit einer exzellenten Luftruhe und beinahe 350 klaren Nächten!

Aus den Erfahrungen mit dem NTT hat man die azimutale Montierungsweise, die aktive Optik und den Kuppelbau weiterentwickeln können. Die 8.2 m Zerodurspiegel sind nun nur noch 18 cm dick und werden von 150 Aktuatoren mit hoher Präzision in der korrekten Form gehalten. Mit dem Öffnungsverhältnis f/1.8 des Hauptspiegels hat man sich auch weiter nach vorn getastet. Eine Brennpunktlage nur 1.8 Spiegeldurchmesser über dem Hauptspiegel erlaubt eine sehr kompakte Bauweise. Der Besuch lohnt sich! Darunter stehend beeindrucken die gewaltigen Dimensionen dieser Teleskope und von der Nasmyth Plattform darf man sogar direkt auf den 8.2 m Spiegel schauen.

Die VLT-Anlage beherbergt die weltweit modernsten Interferometriemöglichkeiten. Vieles ist noch in Entwicklung, doch schon sehr bald wird ein interferometrisches Zusammenschalten von mehreren Teleskopen das Auflösungsvermögen eines 200 m Teleskops simulieren können.

Das beeindruckendste Beispiel an Präzision vermitteln die hochmodernen Lichtverzögerungsstrecken, in denen das Licht aus sozusagen längenverstellbaren Sackgassen zurückgespiegelt wird. Dabei erreichen die 60 m langen Linearmotorstrecken eine Stellgenauigkeit von 10 Mikrometern. Der dabei bewegte Reflektor ruht auf weiteren piezoelektrischen Stellelementen, die der Lichtverzögerungsstrecke letztlich eine Stellgenauigkeit von 50 Nanometer ermöglichen! Der Cerro Paranal mit seinen 4 VLT Teleskopen und der Interferometrieanlage kann mit Recht als das bestgeplante und modernste Großobservatorium der Welt bezeichnet werden. Wer hätte in den Planungsjahren schon fest an die Interferometrie im optischen Wellenlängenbereich geglaubt? Und doch floss diese mutige Vision schon in den 80-iger Jahren so erfolgreich in die Planungen ein.

Alma

Ein weiteres Groß-Projekt der erdgebundenen Astronomie beginnt gerade unter Federführung der ESO in den hohen Anden östlich von San Pedro de Atacama. Im Dreiländereck Chile- Argentinien-Bolivien entsteht auf einer Hochebene von über 5000 m Höhe das Projekt ALMA, eine groß angelegte Interferometrieanlage im Millimeter und Submillimeter Wellenlängenbereich.

Dazu werden 64 Submillimeter Teleskope mit jeweils 12 m Schüsseldurchmesser erstellt. Sie können mit einem Spezialtransporter beliebig konfiguriert werden und erreichen Basislängen von bis zu 10 km. Ziel ist es, die Physik des kalten Universums mit dem gleichen Auflösungsvermögen erforschen zu können, wie es die Interferometrie an den VLT-Teleskopen in den optischen Wellenlängen in Zukunft leisten wird. Auch hier zeigt sich die bisher so erfolgreiche planerische Weitsicht der ESO.

Auch amerikanische Großsternwarten hat es wegen der ausgezeichneten Beobachtungsbedingungen nach Chile gezogen:

Cerro Tololo – die erste amerikanische Großsternwarte in Chile liegt bei Vicuna, 80 km landeinwärts von der Küstenstadt La Serena. Hier entstand schon 1976 das 4 m Blanco Teleskop, ein schweres klassisches Teleskop in gigantischer Hufeisenmontierung, ähnlich dem 3.6 m Teleskop in La Silla. Des weiteren beherbergt der Cerro Tololo sechs kleinere Teleskope bis zu 1.5 m Spiegeldurchmesser.

Cerro Pachon - auf dem 2737 m hohen Nachbargipfel steht seit 2002 das 8.1 m Gemini Süd Teleskop. Es ist der Zwillingsbruder des Gemini Nord Teleskops auf dem Mauna Kea in Hawaii. Die Gemini Teleskope sind mit den 8.2 m VLT Teleskopen vergleichbar: kurzbrennweitiger Hauptspiegel, niedrige Bau-höhe, alt-azimutale Montierung mit Nasmyth- Foki und aktive Optik. Die Hauptspiegel wurden wie die der VLT Teleskope bei REOSC in Paris geschliffen.

Auf dem Cerro Pachon wurde zudem das preiswerte 4.1 m SOAR-Teleskop gerade fertig gestellt. Hier kann man eine Spiegeldicke von nur 10 Zentimetern bewundern!

Las Campanas - das neuste amerikanische Observatorium in Chile befindet sich auf dem 2282 m hohen Cerro Manqui wenige Kilometer nördlich von La Silla. Hier entstanden in den Jahren 2000-2002 die beiden 6.5 m Magellan Teleskope. Bei den Hauptspiegeln hat man sich zwecks kompakter Bauweise an ein Öffnungsverhältnis von sage und schreibe f/1.25 herangewagt! Sie haben eine äußerst leichte Honigwabenstruktur mit aktiver Optik in Form von jeweils 126 pneumatischen Aktuatoren. Beide Teleskope liegen 60 m voneinander entfernt. Interferometrie beider Instrumente wird in Zukunft nicht ausgeschlossen.

Las Campanas beherbergt ebenso ein klassisches 2.5 m Teleskop, ein 1 m Teleskop und ein neues 1.25 m Teleskop der Universität Warschau.

Auch für zukünftige Großteleskope bleibt Chile Standort Nummer eins auf der Welt. In Amerika sind zwei Studien zu segmentierten 30 m Teleskopen in Arbeit sowie die Studie eines Großteleskops, das sieben 8.4 m Spiegel auf einer Montierung tragen soll. In Europa diskutiert man das EURO 50 und das 100 m OWL Teleskop, für die die Standortfrage offen ist.

Und was hat Chile sonst noch zu bieten? Auf keinen Fall sollte man sich den Besuch der hohen Anden entgehen lassen. Von Antofagasta - Ausgangspunkt für den Besuch des Cerro Paranal - durchquert man landeinwärts die trockenste Wüste der Welt. Schon bei Calama mitten in der Atacamawüste baut sich die mächtige Gebirgskette der Anden greifbar nah vor einem auf, obgleich noch über 150 km entfernt. Über die Domeyko Berge und die durch ihre fantastischen Erosionsstrukturen berühmte Salzkordilliere erreicht man die Hochebene von San Pedro de Atacama.

Hier hat man einen idealen Ausgangspunkt, um die Welt der hohen Anden kennen zu lernen. Die El Tatio Geysire auf 4300 m Höhe, die bei Sonnenaufgang besucht werden, erlauben bei noch kalter Andenluft ein Bad in wohlig war mem Thermalwasser. Die Hochgebirgslagunen südlich von San Pedro, umgeben von den 6000 m hohen Vulkanbergen der Anden, vermitteln den Eindruck, als sei man nicht auf dieser Welt. Auch den über 100 km großen Salzsee Salar de Atacama mit seinen Flamingokolonien sollte man unbedingt besuchen.

Bei La Serena, von wo aus man La Silla und die amerikanischen Großobservatorien erreicht, beginnt das berühmte Oasental Valle Elqui. Ein sehenswertes Weinanbaugebiet - grün unter strahlend blauem Himmel inmitten karger und immer steiler werdender Wüstengebirge. Im nächsten Jahr wollen wir zusätzlich Südchile mit der Magellanstraße, Feuerland und die dortigen Gletscherwelten besuchen.

Kommen sie also mit zum Cerro Paranal und in die hohen Anden oder nach Hawaii zum Mauna Kea Observatorium mit den berühmten Keck Teleskopen! In diesem tropischen Paradies wartet neben der größten Sternwarte der nördlichen Hemisphäre der aktivste Vulkanismus der Welt.

Joachim Biefang, Uedem (Nähere Info, auch zu anderen Astroreisen, unter www.geocities.com/biefang_astroreisen)