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Besuch in Birr Castle - auf den Spuren von Lord Rosse

von Wolfgang Steinicke

Wo steht das größte Dobson-Teleskop? Vielleicht irgendwo in den USA? Man hört ja von monströsen 40 Zöllern mit 5 m Brennweite, bei denen man auf abenteuerliche Weise zum Okular emporkraxeln muß. Weit gefehlt: Legen wir ruhig nochmal 32" drauf und erweitern die Länge auf das 3,5-fache, so sind wir bei Lord Rosse's Wahnsinnsfernrohr im Park von Birr Castle, Irland.

Der alte Lord - genauer: William Parsons, 3. Earl of Rosse (gesprochen: Ross) - hatte sich Mitte des 19. Jahrhunderts einen Traum erfüllt und das größte Teleskop der Welt gebaut, den "Leviathan von Parsonstown" (Abb. 1). Bis 1917, als der 100" Hooker-Reflektor auf dem Mt. Wilson in Betrieb ging, blieb Rosse's 72" Newton (Spiegel 1,83 m; Brennweite 17 m) einsame Spitze. First Light war am 15. Februar 1845 mit einem Blick auf den Mehrfachstern Castor, kurz danach wurde M 67 beobachtet.

Meines Wissens ist über das Leben und Werk von Lord Rosse in Birr Castle bisher in einer deutschen Zeitschrift nichts publiziert worden, jedenfalls ergab eine Recherche (etwa in Sterne und Weltraum) kein positives Ergebnis. Lassen sie sich also überraschen von den enormen Leistungen, die bereits im 19. Jahrhundert erbracht wurden.

Für Irland waren die Jahre ab 1845 eine schwierige Zeit; die große Hungersnot ("potato famine") kostete 1 Million Menschen das Leben. Lord Rosse führte Hilfsprogramme durch, was seine Beobachtungen stark einschränkte.

Rosse's Absicht war nicht, das größte Fernrohr zu besitzen. Ihn trieb vielmehr die Idee, die von William Herschel beobachteten Nebelflecken könnten mehr sein, als bloße diffuse Gasmassen. Er glaubte wie Herschel, dass einige aus Sternen bestehen und eigenständige Milchstraßen darstellen - eine Vorstellung die bereits Kant in seiner Theorie der "Welteninseln" formuliert hatte [1].

Selbst mit den größten Fernrohren der Zeit ließen sich die Nebel aber nicht auflösen. Als er dann im April 1845 den neuen 72 Zöller auf M 51 richtete, sah er zu seiner großen Freude eine ausgeprägte spiralige Struktur (Abb. 2). Er prägte dafür den Begriff "Spiralnebel" und schloss auf eine innere Bewegung (Rotation) in einem von Sternen übersähten System.

Wir wissen heute, dass er recht hatte, doch der physikalische Nachweis der extragalaktischen Natur der Spiralnebel gelang erst viel später am Mt. Wilson.

Bis Ende 1850 fand Lord Rosse insgesamt 14 Objekte mit deutlich erkennbarer Spiralstruktur, von denen er detaillierte Zeichnungen anfertigte, darunter M 33, M 95 und M 77. Seine Beobachtungen lassen sich heute mit modernen Dobson-Teleskopen mit wesentlich geringerem Aufwand nachvollziehen [2].

Neben den sozialen waren natürlich auch die Wetterverhältnisse ein Problem. So berichtete Lord Rosse frustriert, dass es praktisch nur zwei Wettersituationen gab: "kurz vor dem Regen" und "im Regen". Die Zahl der wirklich klaren Nächte pro Jahr konnte man an einer Hand abzählen. Das hat sich bis heute leider nicht verbessert.

William Parsons (Abb. 3) wurde am 17. Juni 1800 in York, England geboren und erbte später das Schloss seiner Eltern in Parsonstown (heute: Birr). Er studierte in Oxford und wurde 1924 in die Royal Astronomical Society aufgenommen. Er beschäftigte sich gleichermaßen mit Astronomie (als großer Bewunderer von Herschel) wie mit Mathematik und Ingenieurwissenschaften.

Der Leviathan war Rosse's zweites großes Teleskop. Das erste, ein 36 Zöller (Spiegel 91 cm; Abb. 4), erinnerte in seiner Bauweise stark an Herschel's berühmten 40-Fuß-Reflektor (Spiegel 1,2 m; 12 m Brennweite).

Rosse fertigte Spiegel aus "Speculum", einer Legierung aus Kupfer und Zinn, die nach dem Polieren gut reflektiert [3]. Einen Vergleich mit heutigen, versilberten Glasspiegeln halten sie allerdings nicht stand. Die Metallspiegel hatten ein enormes Gewicht, der 72" wog immerhin 4 Tonnen! Der Bau des "Leviathan" dauerte 3 Jahre. Das Teleskop mit seiner eigenwilligen Konstruktion, einem geschlossenem Holztubus (der an ein riesiges Fass erinnert), der "Seilzugmontierung" und den beiden seitlichen, 15 m hohen "Burgmauern" strahlt etwas Erhabenes aus - es gibt nichts vergleichbares (Abb. 5).

Für die Inbetriebnahme und großräumige Ausrichtung waren 5 Mann nötig, die sich an den verschiedenen mechanischen Kurbeln und Flaschenzügen positionierten. Aufgrund Lord Rosse's genialer Konstruktion war die gewaltige Masse aber erstaunlich leicht zu bewegen.

Zunächst sieht es so aus, als könne man nur im Meridian beobachten. Das Gerät läßt sich aber auch um jeweils 10° östlich/westlich in Azimut bewegen. So können Objekte im Bereich des Himmelsäquators ca. 50 Minuten, Objekte im Zenitbereich fast 2 Stunden beobachtet werden.

Das Okular ist über ein bewegliches Beobachtungspodest erreichbar. Ein Sucherfernrohr gab es übrigens nicht, eingestellt wurde mit langbrennweitigen Okularen. Zur "Nachführung" waren am Podest mehrere Kurbeln für Azimut, Höhe sowie für die Podestposition angebracht, die der Beobachter zu bedienen hatte.

Es muß schon abenteuerlich gewesen sein, in einer kalten Winternacht auf dem 18 m hohen Holzgerüst zu stehen und ruhig zu zeichnen! Unfälle gab es aber zum Glück keine. Die optische Qualität des Teleskops war für die damaligen Verhältnisse hervorragend. Trotzdem mußte der Spiegel in regelmäßigen Abständen gegen ein zweites Exemplar ausgetauscht werden, denn die Oberfläche lief an und wurde zunehmend fleckig.

Lord Rosse wurde bei seinen Beobachtungen assistiert von George Stoney und R. J. Mitchell. Gemeinsam entdeckten sie 224 neue Objekte, die später in Dreyer's "New General Catalogue" aufgenommen wurden [4]. Neben den bereits erwähnten 14 Spiralnebeln fand er bei weiteren 81 eine Spiralstruktur [5]. Er führte genau Buch, war dabei aber von großer Offenheit und veröffentliche alle seine Resultate. Hier zwei Beobachtungsbeispiele.

NGC 6946 (Galaxie im Cepheus, beobachtet am 6. September 1850): "Neue Spirale, sehr schön aber schwach; 3 Spiralarme, von denen 2 in Knoten enden, ein vierter Arm nordwestlich sehr zweifelhaft." Und exakt 5 Jahre später notiert er: "Die beiden östlichen Arme verbinden sich kurz vor dem Kern zu einem; einen vierten, nordwestlichen Arm sehe ich jetzt sicher".

NGC 4151 (Seyfert-Galaxie in der Jungfrau, beobachtet am 26. April 1851): "Heller, runder Zentralbereich mit Kern, dann zwei dunkle, konzentrische Zwischenräume und außen schwache Nebelbereiche." Und 2 Tage später: "Letzte Beobachtung bestätigt. Die dunklen Zwischenräume existieren sicher und ich glaube jetzt, dass die äußeren Anhängsel Spiralarme sind."

Aber nicht nur Spiralnebel faszinierten ihn. Er beobachtete auch Sternhaufen, diffuse und Planetarische Nebel. So stammt die Bezeichnung "Krebsnebel" für M 1 von ihm [6]. Leider verstarb Lord Rosse bereits mit 67 Jahren am 31. Oktober 1867. Dass der Nachwelt so viele Eindrücke erhalten geblieben sind, verdanken wir auch seiner Frau Mary, Countess of Rosse. Sie war eine Pionierin der Photographie und hat viele Aktivitäten ihres Mannes im Bild festgehalten (wie etwa in Abb. 1).

Nach William Parsons' Tod wurde das Teleskop von seinem Sohn Lawrence (Abb. 6), dem 4. Earl of Rosse (1840-1908), noch einige Zeit benutzt. Assistiert wurde Lawrence Parsons u.a. von Ralph Copeland, der mit dem 72 Zöller von 1871 bis 1874 beobachtete. Bekannt ist dessen Entdeckung der kompakten Galaxiengruppe "Copeland Septett" im Sternbild Löwe.

Noch bedeutender war sicher der Aufenthalt von John Louis Emil Dreyer in Birr Castle von 1874 bis 1878. Dreyer nutzte das große Teleskop für die Entdeckung, Verifizierung und Katalogisierung nichtstellarer Objekte. Dies waren wichtige Beiträge für seinen "New General Catalogue" (NGC), der 1888 publiziert wurde [7].

Nach dem Tod von Lawrence Parsons dümpelte der Leviathan fast 90 Jahre im Freien vor sich hin (der Spiegel kam derweil ins Museum nach London). Es ist der Initiative des bekannten englischen Amateurastronomen Patrick Moore zu verdanken, dass das Teleskop mit tatkräftiger Hilfe des 6. Earl of Rosse sowie lokaler Organisationen 1997 vollständig renoviert werden konnte [8]. Dabei erhielt es u.a. einen modernen Aluminiumspiegel und Elektromotoren für die Positionierung. Wird es heute wieder benutzt? In der Tat, es gibt einen Verein, der das Teleskop betreut und gelegentlich öffentliche Beobachtungen anbietet. Ein seltenes Ereignis angesichts der katastrophalen Wetterbedingungen!

Das Glück einer Beobachtung hatte ich leider nicht, als ich Birr Castle im Juni 2001 mit meiner Frau besuchte. Immerhin wird aber die Funktion und Beweglichkeit eindrucksvoll demonstriert und man hat ausgiebig Gelegenheit, alle Details zu bewundern (Abb. 7).

Außerdem gibt es ein gut ausgestattetes Museum, in dem auch viele Originalzeichnungen, Notizen, Veröffentlichungen und Gerätschaften von Lord Rosse und seinem Sohn zu sehen sind. Dabei wird klar: Der Unterschied zur heutigen Deep-Sky Beobachtung ist nicht besonders groß und Vieles kommt einem bekannt und vertraut vor. Im Vergleich zu anderen Orten wie Lick, Palomar oder Kitt-Peak, die ich besucht habe, spürt man an dieser Kultstätte die wahren Wurzeln von "Deep-Sky" - echtes Dobson-Feeling eben! Ich kann nur jedem eine Pilgerfahrt nach Birr Castle empfehlen.

Literaturhinweise

[1] Hamel, J., Geschichte der Astronomie, Birkhäuser-Verlag 1998
[2] Buta, R., Observing Galaxies Visually, Sky & Telescope, Nov. 1979, S. 482
[3] Learner, R., Geschichte der Astronomie und die Entwicklung des Teleskops seit Galilei, Gondron Verlag 1991
[4] [4] Momentan arbeite ich an einer historischen Darstellung aller NGC/IC Beobachter (immerhin ca. 150 Personen), ihrer Entdeckungen, Biographien und Instrumente. Das Ergebnis wird im NGC/IC Projekt und auf hier meiner Homepage publiziert.
[5] Thomson, M., Revealing the Rosse Spirals, Astronomy & Geology, August 2001
[6] Steinicke, W., Wie wär's mit der Nr. 1, interstellarum 17, S. 39 (2000)
[7] Steinicke, W., Digitale Deep-Sky Daten, visuelle Beobachtung und das NGC/IC Projekt, VdS-Journal, Sommer 2000, S. 49

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