Interview mit Rudolf Kippenhahn
von Rosi Paech
am Freitag, den 23.7.04 im Universum Science Center in Bremen anlässlich eines Vortrages vor Kindern über sein neues Buch „Das Geheimnis des Großen Bären".
Rudolf Kippenhahn, geboren 1926 im tschechischen Bärringen, studierte in Erlangen Physik und Mathematik, wechselte in die Astronomie und habilitierte sich 1958. 1965 wurde er ordentlicher Professor an der Universität Göttingen. 1975-1991 war er Direktor des Max-Planck-Instituts für Astrophysik in Garching bei München. Mit seinen zahlreichen Büchern über astronomische Themen zählt er zu den Meistern der verständlichen Wissenschaft. Seit neuestem hat er zwei Kinderbücher veröffentlicht.

R. Paech: Sie sind 1926 in Bärringen geboren. Das war eine andere Zeit als heute. Können Sie uns aus Ihrer Kindheit erzählen? Wie war Ihre Schulzeit?
R. Kippenhahn: Ich erinnere mich gut, wie mein Vater mir einmal ein physikalisches Experiment gezeigt hat. Aus einem Draht, einem Nagel und einer Batterie hat er einen Elektromagneten gebaut.
Das Gymnasium, das ich besuchte, war 30 km von meinem Heimatort entfernt. Damals waren 30 km eine andere Entfernung als heute. Es fuhren kein Bus und keine Bahn. Also musste ich weg von
zu Hause. Das war schwer für mich.
Für meinen Vater war die Schule das Wichtigste. Mein Großvater war Lehrer und auch dessen Brüder. Wenn ich Weihnachten nach Hause kam, fragte mich mein Vater:
1. Wie geht es in der Schule? 2. Wie geht es dir gesundheitlich? und zwar genau in dieser Reihenfolge.
Mathematik, Physik und Chemie waren meine liebsten Fächer in der Schule. Weil damals der 2. Weltkrieg herrschte, mussten viele Lehrer zum Militär. Wir hatten deshalb bei alten Lehrern Unterricht, die eigentlich schon pensioniert waren. Eine Zeitlang war Chemie mein erklärtes Lieblingsfach. Der alte Lehrer, der es unterrichten sollte, machte aber stattdessen meistens Biologieunterricht, was mich sehr ärgerte.
R. Paech: Welche Fächer mochten Sie nicht?
R. Kippenhahn: Latein; Sprachen überhaupt. Das habe ich allerdings später sehr bereut.
R. Paech: Wie sind Sie zur Astronomie gekommen?
R. Kippenhahn: Meine erste Begegnung mit der Astronomie hatte ich mit ungefähr 6 Jahren. Es gab damals Lehrbögen mit Bildern, wenn man Schuhcreme kaufte. Ich hatte einen Lehrbogen über Astronomie.
Als Schüler bekam ich die Adresse der Sternwarte Sonneberg, die Herr Cuno Hoffmeister damals leitete. Ich bewarb mich da in den Ferien um Arbeit, obwohl ich noch gar nichts konnte und wusste. 3 Jahre durfte ich dort arbeiten.

R. Paech: Wie verlief Ihr Leben nach Abschluss der Schule?
R. Kippenhahn: Mein Abitur habe ich noch im Krieg gemacht. Ich brauchte nicht Soldat zu werden wegen meiner Körperbehinderung.
Nach dem Krieg war es schwierig, mit dem Studium zu beginnen, weil die jungen Leute ein Vorrecht hatten, die im Krieg gewesen waren. Ich bekam dennoch einen Studienplatz in Mathematik.
Eigentlich wollte ich lieber Physik studieren. Meinen Doktor machte ich auch in Mathematik. Dann entschied ich mich für die Astronomie. Aber die einzigen Vorlesungen, die ich in Astronomie gehört habe, waren später meine eigenen.
R. Paech: Sie haben in Göttingen gearbeitet, dann bis 1992 in Garching als Direktor des Max-Planck-Instituts für Astrophysik.
R. Kippenhahn: Halt, so war das nicht. Zuerst war ich 6 Jahre lang Assistent an der kleinsten Sternwarte Deutschlands in Bamberg. Wer wollte mich damals schon haben? Ich hatte ja nicht einmal Astronomie studiert.
Von 1965 bis 1975 arbeitete ich an der Universitätssternwarte in Göttingen. Anschließend war ich noch 16 Jahre in Garching.
R. Paech: Können Sie den Astrokids erklären, was die Arbeit eines Astrophysikers ist?
R. Kippenhahn: Astronomie und Astrophysik sind ziemlich das gleiche. Die Astrophysik beschäftigt sich unter anderem mit der Himmelsmechanik, den Bewegungen der Himmelskörper. Seit Keppler weiß man. dass am Himmel die gleichen Gesetze gelten wie auf der Erde. Es kamen immer weitere Erkenntnisse dazu, so um 1900 die Erfindung der Spektralanalyse.
R. Paech: Was haben Sie in der Astrophysik untersucht?
R. Kippenhahn: Ich habe die Entwicklung der Sterne erforscht. Meine Frage war: Wie funktionieren die Sterne?
Die Sonne, Sterne, strahlen Energie ab. Das ist ein sehr komplizierter Vorgang. Im Computer haben wir Sterne simuliert, gerechnet und die Ergebnisse mit der Sternbeobachtung in der Natur verglichen. Das Resultat meiner Forschung war, dass wir Erkenntnisse über die Entwicklung und den Aufbau der Sterne gewonnen haben. Das habe ich während meiner Laufbahn geleistet.

R. Paech: Das Buch „Das Geheimnis des Großen Bären" ist Ihren sechs Enkeln gewidmet. Haben Sie Ihren Enkeln die Sterne und das Weltall erklärt?
R. Kippenhahn: Ich war gerade mit meinen zwei Töchtern und vier Enkelkindern an der Ostsee. Ich habe ein Schachspiel eingepackt, weil ich meinen Enkeln Schach beibringe, wenn sie alt genug dazu sind. Aber es fand sich keine Zeit dazu, denn die Kinder hatten so viel vor und spielten miteinander.
Es ist keine Frage der Zeit Kindern etwas zu zeigen oder zu erklären. Man muss bei den Kindern ein offenes Fenster erwischen.
Für mein Kinderbuch „Streng geheim" habe ich mehr mit meinen Enkeln gemacht, ihnen erklärt und ausprobiert. Die Geschichte in dem astronomischen Buch (Das Geheimnis des Großen Bären), das habe ich in Wahrheit mit meinen Enkeln so nicht erlebt.
R. Paech: Abgesehen von der Astronomie gilt Ihr Interesse den Geheimschriften und verschlüsselten Botschaften. Was ist daran für Sie so spannend?
R. Kippenhahn: Die Mathematik. Beim Schreiben des Buches „Streng geheim" war die Frage: Wie bringt man das Thema dem Leser nah, ohne ihn mit zu viel Mathematik auf einmal zu verschrecken? Es gibt eine Menge Räuberpistolen über Geheimschriften und die kann man dem Leser erzählen. Anschließend kann wieder die Mathematik kommen.

R. Paech: Als ich mich auf dieses Interview vorbereitet habe, stellte ich fest, dass sie sehr viele Bücher für Erwachsene geschrieben haben. Wie sind Sie auf die Idee gekommen Kinderbücher zu schreiben?
R. Kippenhahn: Das war gar nicht ich. Frau Mette, die die Serie „Science & Fun" vom Rowohlt Verlag betreut, sprach mich an, ob ich nicht ein Kinderbuch über Geheimschriften schreiben wollte. Ich bekam zunächst einen Schreck und Angst. Aber ich habe meine Enkel in dem Alter zum Ausprobieren. Allerdings habe ich meinen Enkeln kein Kapitel vorgelesen und geschaut, wann sie vor Langeweile gähnen.
In Dialogform wollte ich das Buch schreiben. Zur Vorbereitung habe ich klassische Kinderbücher gelesen, wie Kästner und sogar einen Band Harry Potter. Dialoge kann man wunderbar bei Max Frisch im „Biedermann und die Brandstifter" nachlesen. So gut kann ich keine Dialoge schreiben.
Vor den Vorträgen vor Kindern hatte ich auch Angst. Ich dachte, was ist, wenn einerso gut mit den Ohren wackeln kann und das ganze Interesse auf sich zieht. Aber die Vorträge haben gut geklappt. Heute halte ich einen über mein neues Buch „Das Geheimnis des Großen Bären" hier im Universum.
R. Paech: Planen Sie ein neues Kinderbuch?
R. Kippenhahn: Ich bin 78 Jahre alt. Da plant man nicht mehr. Zur Zeit schreibe ich an einem Buch für Erwachsene. Ein Buch in Mathematik über das Wesen der Unendlichkeit.
Ich brauche das Bücherschreiben, seit ich mein erstes populärwissenschaftliches Buch geschrieben habe. Als ich einmal eine Zeitlang nichts schreiben konnte, bin ich richtig depressiv geworden.
R. Paech: Als sechsfacher Großvater mit viel Lebenserfahrung möchte ich Sie fragen: Welchen Rat geben Sie unseren jungen Lesern für ihre Zukunft mit auf den Weg?
R. Kippenhahn: Sie sollen das tun, was in ihnen brennt.
Mein Vater wollte auch nicht, dass ich Astronom werde. (Das sollen wir jetzt nicht schreiben) Meine Mutter meinte: Die Astronomen sind doch alle ein bisschen verrückt. In meinem Leben habe ich dann gemerkt; sie hatte manchmal recht.
R. Paech: Herzlichen Dank Herr Kippenhahn für dieses Gespräch.