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Ausdruck vom: Montag, der 18.03.2024

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Aristarch von Samos und die größere Hälfte

„Die größere Hälfte“ ist eine Wendung, die einerseits zeigt, wie sorglos manche unter uns mit der Sprache umgehen und andererseits, wie flexibel sie ist, wenn es darum geht, mit wenigen Worten mitzuteilen, worum es geht. Meine Oma gebrauchte diese Wendung gern, wenn es darum ging, Dinge mit dem Ziel zu teilen, zwei gleich große Teile, eben Hälften, daraus zu machen – vorzugsweise bei Kuchen. Da dies in der Praxis eher selten gelingt, entstehen Teile wie die größere und die kleinere Hälfte – also Teile, deren Größen nur in geringem Maße davon abweichen, Hälften zu sein. Als Schuljunge sträubte sich mir das Fell, wenn Oma so etwas sagte und ich bemerkte nicht, daß sie es gerade deshalb etwas öfter tat. Früher dachte ich auch, auf der einen Hälfte des Mondes sei es hell und auf der anderen dunkel, so wie es eine „Taghälfte“ und eine „Nachthälfte“ auf der Erde gebe. Die Dinge sind etwas komplizierter, wie ich später erfuhr, unter anderem aus einem Grund, den schon Aristarch von Samos benannte.

Aristarch (ca. -320; -250 1)) war Mathematiker und Astronom und versuchte als erster eine exakte, auf uns gekommene Berechnung der Größen und Entfernungen von Sonne und Mond. Aristarch beobachtete von -288 bis -277 in Alexandria und hielt die Sonne für einen Fixstern 2), also wohl auch die Fixsterne für Sonnen, was vielleicht der bemerkenswertere Teil dieser Ansicht ist. Seine herausragende Leistung ist die ihm zugeschriebene Vermutung des heliozentrischen Systems 1)9).

Es ist bekannt, daß bereits Herakleides (um -350 1)), der ein Schüler Platons war (und nach dessen Tod nicht zum Haupt der Akademie gewählt wurde 2) ), die Erdrotation vermutete. Er lehrte, was später das Tychonische System genannt werden würde (nach Tycho Brahe), und ihm fiel auf, daß alle Anomalien verschwänden, würde man die Sonne als ruhend annehmen 2).

Aristarch, der etwas später wirkte, ist jedoch der, dessen Gedanken zu diesem Thema wir viel besser kennen, da uns eine Schrift von ihm dazu vorliegt.

Dies ist die Abhandlung „Über die Größen und Entfernungen von Sonne und Mond“. Wie viele andere griechische Schriften gelangte sie durch die Araber nach Westeuropa. Eine Übersetzung der Arbeit Aristarchs vom Griechischen ins Arabische besorgte Qusta ibn Luqa al-Ba´labakki (gest. um 912), ins Lateinische übersetzte Giorgio Valla (1447- 1499) im Jahr 1488 3) 4) 8). In seiner Abhandlung formuliert Aristarch einige Hypothesen und Sätze. Darunter auch diesen:

„Wenn eine Kugel durch eine andere Kugel beleuchtet wird, die größer ist als sie selbst, so wird der beleuchtete Teil größer als eine Halbkugel sein.“ 3)

Nach kurzem Nachdenken mag man diesem Satz zustimmen und sich fragen, warum Aristarch diese Sache für wichtig genug hielt, um sie aufzuschreiben. Macht man sich klar, welche Konsequenzen sich daraus für die Beobachtungen (Zeiten und Orte) der Himmelskörper ergeben, so wird man Aristarchs Wertung zustimmen. Offenbar vermutete er zu Recht, daß die Sonne größer ist als die Erde. In seiner Abhandlung gibt Aristarch eine ausführliche geometrische Beschreibung dessen, was in jenem Satz steckt. Wir wollen der Sache mit Hilfe folgender Abbildung nachgehen.

Wir reduzieren die Sache mit der Abbildung also auf zwei Kreise, stellvertretend für die von Aristarch genannten Kugeln und konstruieren zwei Tangenten an die beiden Kreise. Dabei lassen wir die Spitzfindigkeiten beiseite (die Kreise könnten einander berühren, die Kreisbögen könnten einander schneiden, ein Kreis könnte in dem anderen liegen, die Tangenten könnten einander kreuzen oder miteinander identisch sein ...) sondern folgen der Überlegung des Aristarch.

Die Tangenten an die Kreise konstruiert man so 5):

  • Ein Kreis sei gegeben durch den Mittelpunkt A und den Radius AE.
  • Der andere Kreis sei gegeben durch den Mittelpunkt B und den Radius BF.
  • Wir bestimmen (selbstverständlich geometrisch und in einer Nebenskizze) die Differenz der beiden Radien und zeichnen einen dritten Kreis, einen Hilfskreis, mit dem Mittelpunkt A und dem Radius AC. AC = AE – BF.
  • Nun bestimmen wir durch das Schlagen zweier Kreisbögen von A und B aus mit einem Radius, der deutlich größer ist als ½ AB, den Mittelpunkt der Strecke AB und nennen ihn M.
  • Um M zeichnen wir einen Kreis mit dem Radius AM.
  • Dieser schneidet den Kreis mit dem Radius AD um den Punkt A in C.
  • Verlängert man AC bis zur Peripherie des „großen Kreises“ um A, erhalten wir den Punkt E.
  • Verbinden wir B und C, so gewinnen wir eine Tangente an dem Kreis mit dem Radius AD um A im Punkt C.
  • Verschieben wir diese Tangente parallel bis zu den Punkten E und F, erhalten wir die Tangente an den beiden ursprünglich benannten Kreisen.
  • Spiegeln wir diese Konstruktion an der Achse AB, finden wir die andere relevante Tangente.

Beweis

Der Kreis um M mit dem Radius AM soll den Hilfskreis im großen Kreis gerade in dem Punkt C schneiden, durch den die Tangente geht, die auch B berührt, so daß man durch Verschieben die erste der gesuchten Tangenten an den beiden Kreisen erhält.

Warum ist das so?

Das Dreieck ABC ist ein Dreieck über dem Durchmesser des Kreises um den Punkt M mit dem Radius AM. Die eine Seite des Dreiecks ist jener Durchmesser und der gegenüberliegende Punkt des Dreiecks liegt auf der Peripherie des Kreises. Über solche Dreiecke lehrt uns Thales von Milet (– 624; -546 1)), was heute als Satz des Thales geläufig ist, nämlich, daß diese Dreiecke rechtwinklig sind und diese rechten Winkel jeweils jene auf der Peripherie sind. Der Satz des Thales ist bewiesen, weshalb wir uns damit nicht befassen müssen 6).

Verschiebt man diese Tangente BC nun um den Radius des kleineren Kreises, wird man die Tangente EF bekommen. - quod erat demonstrandum

Nun ist also leicht einzusehen, daß die große Kugel von der kleineren Kugel einen Teil beleuchtet, der größer ist als eine Halbkugel. Wir sollten also bestimmen, wieviel größer als eine Halbkugel der beleuchtete Teil ist. Als Maß dafür soll uns die Größe des Winkels DAC dienen. Dafür bedienen wir uns des Cosinussatzes 7).

c² = a² + b² - 2ab cos g

 

Wir formen diese Gleichung um und erhalten:

cos g = (c² - ( a² + b²)) / -2ab

Unser Dreieck sei AMC.

Die Seiten des Dreiecks sind a = CM, b = AC, c = AM.

Der Winkel ACM sei entsprechend g.

Untersuchen wir die Sache für den Fall, daß die große Kugel die Sonne mit dem Radius AC = b und die kleine Kugel die Erde in einer Entfernung von 2AM sei.

a = c = AM = CM = ½  AE = 149,6 Mio Km / 2

a = 74,8 Mio Km.

b = 0,6958 Mio Km (Radius der Sonne) – 0,006378 Mio Km (Radius der Erde)

cos g = 0,004608435

g = 89,73°

Der Winkel DAC = 90 – g. Winkel DAC = 0,27°. Winkel DAC = GBF.

Damit haben wir ein Maß, um wieviel größer als eine Halbkugel der beleuchtete Teil der Erde ist. Der beleuchtete Teil umfaßt danach 180° + 2 Winkel GBF = 180,54°.

Da wir schon dabei sind: Werfen wir noch einen Blick auf die Abbildung. Wir wollen annehmen, ein Beobachter stünde in B und betrachte eine Kugel, dargestellt durch den Kreis mit dem Mittelpunkt A und dem Radius AC. Dann zeigt die Abbildung, daß ein Beobachter einer Kugel von dieser selbstverständlich nur einen Teil sehen kann, der kleiner ist als eine Halbkugel. Die Kugel erscheint unter einem Winkel, dessen einer Schenkel in der Abbildung BC entspricht. Das genaue Maß des sichtbaren Teils der Kugel ist leicht zu benennen: Der Winkel ABC ist halb so groß wie der Winkel, unter dem die Kugel für den Betrachter erscheint. Der Winkel ACB hat 90° (Thalessatz, Kreis um M mit dem Radius AM). Also ist Winkel CAB + Winkel ABC = 90°. Winkel DAB ist gleichfalls ein rechter Winkel. Wenn Winkel CAB um den Winkel ABC kleiner als 90° ist, so wird Winkel DAB um dasselbe Maß größer sein als Winkel CAB. Also sieht man von der Kugel soviel weniger als 180° wie der Winkel groß ist, unter dem die Kugel erscheint.

Anmerkung

Zielgruppe:                              z.B. Schüler der Klassenstufe 9;

mathematische Bezüge:            Satz des Thales, Kosinussatz

Quellen

1) Lexikon der Antike, Bibliographisches Institut Leipzig, 1971

2) Reallexikon des klassischen Altertums, 1914, Reprint 2005, Verlag Manuscriptum

3) Aristarchos of Samos, Sir Thomas Heath, Oxford 1913

4) Qusta Ibn Luqa al-Ba'labakki bzw. Qusta ibn Luqa: en.wikipedia.org/wiki/Qusta_Ibn_Luqa_al-Ba%27labakki

5) Der Urheber dieser Konstruktion ist dem Verfasser unbekannt, sie scheint als Basiskonstruktion vielfach ersonnen und verbreitet worden zu sein.

6) Satz des Thales: de.wikipedia.org/wiki/Satz_des_Thales

7) Taschenbuch der Mathematik; Bronstein, Semendjajew; Moskau, Stuttgart,Leipzig 1994

8) Giorgio Valla, de.wikipedia.org/wiki/Giorgio_Valla

9) Achimedes, Sandrechnung

[ingo wulf.12-2012]

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