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Ausdruck vom: Dienstag, der 19.03.2024

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Interview - Was vor dem Urknall war

von Dr. Harald Zaun

Physik-Nobelpreisträger Professor George F. Smoot im Gespräch

Vor der Geburt unseres Universums hat es schon Raum und Zeit gegeben, glaubt der Physiker Prof. Dr. George F. Smoot (61) von der Berkeley-Universität in Kalifornien (USA).

Anno domini 2006, 13,7 Milliarden Jahre nach dem Urknall, wurde Smoot zusammen mit John Mather in Stockholm mit dem Physik-Nobelpreis geehrt. Ihre im Rahmen des COBE-Experiments durchgeführten Messungen der kosmischen Hintergrundstrahlung haben die Theorie vom Urknall, mit dem unser Universum zu existieren begann, eindrucksvoll bestätigt.

Im vorliegenden Interview mit Telepolis geht Smoot auf COBE, primär aber auf viele wissenschaftlich ungeklärte Fragen ein und bezieht zu vielen Aspekten der Kosmologie eindeutige Position.

H. Zaun: Zunächst einmal möchte der Heise-Verlag und Telepolis Herrn Prof. John Mather und Ihnen zur Verleihung des diesjährigen Physik-Nobelpreises gratulieren. Was war eigentlich Ihre "zweite" Reaktion, nachdem Sie realisierten, dass sie den Nobelpreis in Physik gewonnen haben?

George F. Smoot: Ich erlaube mir, die erste und zweite Reaktion zusammenzufassen, weil sie innerhalb weniger Minuten aufeinander folgten. Zuerst einmal bin ich vom Telefonklingeln mitten in der Nacht geweckt worden. Und als ich rangegangen bin, habe ich nicht genau mitbekommen, worum es eigentlich geht - außer dass jemand von der Nobel-Foundation am Apparat war. Dann wollte ich wissen: "Woher haben Sie eigentlich meine Nummer?" (lacht) Mir ist durch den Kopf gegangen, dass es jetzt zwar spät nachts ist, also genau die richtige Zeit für die Bekanntgabe. Einerseits fragte ich mich: Ist der Anruf wirklich "echt"? Ich habe anderen früher ja auch Streiche gespielt, und jetzt hatte ich mindestens einen meiner Studenten im Verdacht, dahinter zu stecken. Andererseits wirkten diese Leute schon recht seriös, und als dann der dritte von ihnen in der Leitung war, dachte ich: Das hier ist echt. Aber erst im Laufe des Tages habe ich angefangen, mir über die Bedeutung im Klaren zu werden, und richtig realisiert habe ich es dann eigentlich erst ein paar Tage später. Ich war so beschäftigt, dass ich eine Weile gebraucht habe, bevor ich wirklich verstanden habe: Ja, mein Leben hat sich verändert!

H. Zaun: Ihre Entdeckung ist ja so etwas wie der Heilige Gral in der Wissenschaft. Aber die Auszeichnung, die Sie dafür bekommen, ist das in gewisser Weise ja auch!

George F. Smoot: Ja, es ist die höchste Ehre, die einem zuteil werden kann, und ich habe auch eine ganze Weile dafür gebraucht, mich darauf einzustellen. Man ist zwar gewöhnt daran, die Sachen, die man schreibt oder angeht, sorgfältig zu machen. Man achtet auch auf jedes Wort, damit nichts falsch verstanden wird. Aber jetzt, wenn ich etwas sage, geht mir gleich durch den Kopf: "Ob das wohl ein gutes Beispiel für andere ist?" Mir ist klar, dass ich jetzt ein Vorbild für jüngere Wissenschaftler bin. Was irgendwie witzig ist - ich kann mich erinnern, als ich zuerst zum Lab [Lawrence Berkeley National Laboratory/University of California] kam mit all diesen Nobelpreisträgern: Obwohl ich wusste, das sind ganz normale Menschen, hat dieser Preis allein doch dafür gesorgt, dass ich ihnen aufmerksamer zuhörte.

H. Zaun: 18 Jahre harte Arbeit, bis sie endlich anerkannt wurde

George F. Smoot: Ist doch gar nicht lang, oder? Wie lange dauert der Bau einer Kathedrale? (lacht) Alles, was du brauchst, ist eine Vision und dranzubleiben.

H. Zaun: Eine unnachgiebige Jagd, die Sie von den Regenwäldern Brasiliens bis zum Südpol geführt hat. Warum haben Sie so viel Energie in diese Arbeit gesteckt?

George F. Smoot: Zuerst dachte ich, es würde sechs Jahre dauern, nicht 18 - was auch möglich gewesen wäre, wäre alles normal verlaufen und nicht eine Reihe von Problemen aufgetauch

H. Zaun: Was war für Sie das entmutigendste Erlebnis in dieser Zeit?

George F. Smoot: : Es gab eine Menge frustrierender Dinge. Das Challenger-Unglück etwa führte zu einer großen Verunsicherung. Eine Zeitlang nach dem Absturz musste die ganze NASA-Shuttleflotte auf dem Boden bleiben, so dass es für uns keine Chance gab, den Satelliten mit einer Fähre ins All zu hieven. Daher sagten wir uns, dass wir nun mit einem eigenen Plan vorstellig werden müssen.
Um ein alternatives Trägersystem zu finden, nahm ich Gespräche mit den Russen und Franzosen auf. Als die NASA davon hörte, war sie ein wenig aufgebracht. Sie sagten uns, dass wir am Boden bleiben sollen, dass sie als führende Raumfahrtagentur es sich nicht leisten kann, nach Europa zu gehen, um irgendetwas ins All zu schießen.
Schließlich meinten sie: Wenn ihr einen Weg findet, eure Sonde mit einer Delta-Rakete ins All zu befördern, können wir es machen. Und wir gingen darauf ein.

H. Zaun: Was hat Sie dazu veranlasst, während der Pressekonferenz anlässlich der COBE-Entdeckung (23. April 1992) zu sagen: "Wenn Sie religiös sind, dann ist es so, als würden Sie Gott sehen!" Für diese Äußerung ernteten Sie bekanntlich auch Kritik!

George F. Smoot: Wenn Sie über die Entstehung des Universums philosophieren, müssen Sie metaphorisch denken. Als ich während der COBE-Pressekonferenz das Wort "Gott" verwendete, war dies als reine Vereinfachung und Reduktion gedacht. Trotzdem fragten die Journalisten: Was meinen Sie damit? Erklären Sie es uns in Worten, die wir verstehen! Das Lustige an der ganzen Sache war letzten Endes, dass ein Wissenschaftsjournalist der "Washington Post", das zu den intellektuelleren Blättern in den USA zählt, seinen Chefredakteur bekniet hatte, diesen Satz als Aufmacher auf die erste Seite zu platzieren. Aber dieser sah für die Story nur eine Notiz auf der ersten Seite ganz unten oder der zweiten Seite vor. Daraufhin regte sich der Wissenschaftsjournalist derart auf, dass sich die Redaktion zwei Tage später bei ihm entschuldigte.

H. Zaun: Offensichtlich ist unser auf vier Dimensionen ausgerichtetes Gehirn nicht mit der Fähigkeit gesegnet, die wahre Natur des Big Bang oder die anderer komplexer kosmologischer Vorgänge zu begreifen.

George F. Smoot: Allein schon die Idee einer gekrümmten Raumzeit wirkt auf viele Menschen ziemlich fremdartig. Deshalb war es solch ein riesengroßer Sprung, dass Einstein in der Lage war, die Idee einer gekrümmten Raumzeit zu postulieren. Aber wenn Sie wirklich denken, dass die Stringtheorie das richtige Modell ist und wir in zehn oder elf Dimensionen leben, dann offenbart sich Ihnen, wie schwer eine solche Vorstellung wirklich ist, da unser Gehirn so ausgebildet ist, dass es Tag für Tag seine Berechnungen auf dreidimensionaler räumlicher Ebene macht. Aber wir haben immerhin die Mathematik und können mithilfe von Computern das Ganze visualisieren. Und ungeachtet der Tatsache, dass unser Universum mehrere komplexe Dimensionen haben könnte, sieht es letztlich danach aus, dass es doch sehr einfach aufgebaut ist.

H. Zaun: Kosmologen sind Historiker des Universums. Sie schauen zurück in die Vergangenheit.

George F. Smoot: Ja, das stimmt. Sie schauen zurück in der Zeit. Wir befinden uns im Hier und Jetzt, und wir nutzen das von fernen Teilen des Universums eintreffende Licht, um Schnappschüsse des Kosmos aus verschiedenen Ären zu erhalten.

H. Zaun: Die Steady-State-Theorie scheint selbst in einem Schwarzen Loch verschwunden zu sein - gefangen in dessen Singularität …

George F. Smoot: Was passierte, war, dass die Steady-State-Theorie sich nicht gegen das von Observationen gestützte Urknall-Modell behaupten konnte. Daher mussten Geoffrey Burbidge und seine Kollegen das Modell modifizieren. Später wurden sie mit einer moderateren Version ihrer Theorie vorstellig: dem Quasi-Steady-State-Entwurf.

H. Zaun: Kennen Sie Astronomen, die dieses Modell auch heute noch favorisieren?

George F. Smoot: Nun, Burbidge gehört dazu. Tatsächlich sandte er mir kürzlich eine E-Mail, in der er mir zum Nobelpreis gratulierte. Obwohl er immer noch an das Quasi-Steady-State-Modell glaubt, schrieb er mir: "Wohlverdient"! (lacht)

H. Zaun: Ist es nicht eine Ironie, dass ausgerechnet ein katholischer Priester, Georges-Henri Lemaître, das erste Big-Bang-Modell entworfen hat? In dem Glauben, dass Gott den Big Bang verursacht hat, akzeptiert der Vatikan heute den Urknall. Wer oder was löste Ihrer Ansicht nach den Urknall aus?

George F. Smoot: Schon interessant, dass der Vatikan von Galileo gelernt und entsprechend gehandelt hat. Sie haben inzwischen ihr eigenes Observatorium, ihre eigenen Kosmologie-Berater. Sie haben aus der Lektion gelernt, also haben wir uns nicht gewundert, dass Lemaître es akzeptierte. Denn im Fall eines Big Bang hat man einen Anfang und somit auch Platz für einen Schöpfer. Bei einem Steady-State-Universum ist das nicht so. Stephen Hawkings' Universum etwa braucht gar keine Ursache, es entsteht aus dem Nichts und bezieht seine Kraft aus sich selbst.
Irgendwie war eine Situation erforderlich, in der Grundenergie und Materie vorhanden waren. Kommen die richtigen physikalischen Gesetze hinzu, ergäbe das dann automatisch einen Big Bang und eine Inflationsphase. Die Frage wäre nur, ist ein Gott dafür zuständig? Die Antwort darauf ist natürlich ungewiss, wann immer man danach fragt, wie alles begann und warum, und was es verursacht hat. Es läuft doch alles darauf hinaus: Irgendwer oder irgendetwas musste die Ausgangsbedingungen ja ermöglicht und das Experiment in Gang gebracht haben, oder nicht? Also lautet die Frage: Ist dieses Universum nur eine Berechnung, die jemand angestellt hat? Oder ist das hier das einzig mögliche Universum? Eine Antwort darauf gibt es natürlich nicht, aber ich vermute einmal, dass es schwierig sein wird, die Existenz eines Gottes ausschließen oder beweisen zu können.

 

H. Zaun: Wenn Sie den Big Bang visualisieren müssten - wie sähe dieser aus?

George F. Smoot: Ich stelle mir ein unendliches Universum vor, das sich immer weiter ausdehnt, und wenn ich unendlich sage, dann meine ich etwas sehr, sehr Großes. Am liebsten vergleiche ich es mit einer grenzenlosen Petri-Schale voller sich schnell teilender Zellen. Mutiert eine Zelle, entstehen viele ähnliche, so dass die unendliche Petri-Schale schließlich viele Regionen aufweist, die sich aufgrund lokaler Mutationen sehr voneinander unterscheiden. An einer Stelle ist aus einer Region ein Haufen wachsender roter Zellen geworden. Drum herum sind vielleicht weiße oder durchsichtige und weiter drüben dann blaue Zellregionen. Die früher entstandenen Regionen wachsen in der Inflationsperiode, da die Ausdehnung beschleunigt wird. Der Abstand zwischen zwei Punkten wächst exponentiell, später entstandene Regionen können dann nicht mehr so groß werden.

H. Zaun: Kosmologen werden oft gefragt: "Was war vor dem Big Bang?" Und auch wenn diese Frage vielleicht genauso wenig beantwortet werden kann: Was war nicht existent vor dem Big Bang?

George F. Smoot: Ohne Zweifel waren da keine Menschen oder Pflanzen, in so einer Welt gab es wahrscheinlich nicht einmal eine gut strukturierte Raumzeit. Ich denke, entweder war da gar nichts, buchstäblich nichts, im Gegensatz zu irgendetwas Wahrnehmbarem. Ein essenzielles Nichts, das sich definiert als die Abwesenheit von allem - inklusive Raum und Zeit. Oder Raum und Zeit haben bereits komplex existiert - nur mit den Dimensionen in einer anderen Ordnung. Ich denke, dass es vor dem Ereignis, das der Big Bang genannt wird, bereits etwas wie Raum und Zeit gegeben hat, nur noch ohne Ausrichtung oder etwas derartiges.

H. Zaun: Bis jetzt gehört das Urknall-Modell zu den besten kosmologischen Theorien. Andererseits ist den Forschern klar, dass es wohl niemals endgültig bewiesen werden kann, und damit wahrscheinlich eines Tages ein neues Modell an die Stelle des Big-Bang-Konzepts treten wird. Ist das nicht entmutigend?

George F. Smoot: : Nein, das ist typisch für die Wissenschaft: Du entwirfst ein neues Modell, betrachtest es skeptisch, bereitest deine Tests vor. Wenn dann eine andere Theorie auftaucht, welche die offenen Fragen besser beantworten kann, werden die Leute langsam zu ihr überwechseln. Sie werden es umso schneller tun, umso überzeugender die Gründe sind, dass die Beobachtungen mit dem neuen Modell wirklich mehr Sinn ergeben als mit dem alten.

H. Zaun: Es gibt ja auch noch einige alternative Big-Bang-Theorien, die zyklische Universen oder auch die Existenz von Multiversen postulieren. Was halten Sie von diesen metaphysischen Konzepten?

George F. Smoot: Ich finde sie interessant. Es gibt ja einige potenzielle Alternativen, manche von ihnen sind besser begründet als andere. Einer der Kernpunkte eines zyklischen Universums beispielsweise ist, dass man irgendwie mit der Entropie eines zyklischen Universums fertig werden muss. Hat man ein sich wiederholendes zyklisches Universum, so verhält es sich nach unserem Erkenntnisstand so, dass die Entropie mit jedem Kreislauf dazu neigt, zu steigen - sie wird größer und größer, obwohl das Universum selbst nicht so viel Entropie hat.

H. Zaun: Wie viele hochentwickelte außerirdische Zivilisationen werden wohl gerade das Nachglühen des Big Bang untersuchen so wie wir?

George F. Smoot: Ich weiß, dass einer meiner Studenten seine Arbeit den Wesen von Andromeda gewidmet hat, die sich mit demselben Problem herumschlagen (lacht). Aber sobald man nur grob die Berechnungen kennt - und das geht zurück bis zu Enrico Fermi, eines meiner Vorbilder - stellt sich die Frage: Wo sind sie?

H. Zaun: Sie spielen auf das Fermi Paradoxon an?

George F. Smoot: Richtig. Wenn man die Zahlen studiert, realisiert man, dass es jede Menge außerirdisches Leben geben müsste - bei so vielen Galaxien erwartet man aufgrund der Berechnungen jedenfalls intelligentes Leben. Für mich wäre das eine unglaubliche Entdeckung, das würde ändern, wie der Mensch über sich denkt. Eigentlich bin ich mir sicher, dass sie existieren. Das könnte natürlich zu einem Problem werden, wenn Sie zufällig einer dieser religiösen Menschen sind, die glauben, die Welt ist einzig und allein für den Menschen erschaffen worden

H. Zaun: Hat das Universum einen eigenen freien Willen? Gibt es mit Blick auf das Anthropische Prinzip so etwas wie ein Kosmisches Prinzip?

George F. Smoot: Ich bin einer der strengen Kritiker des Anthropischen Prinzips. In dieser Hinsicht ist es sicherlich einfach, den Part des Advokaten des Teufels zu übernehmen. Daher denke ich auch, dass das Anthrophische Prinzip so eine Art Untermauerung des Intelligent-Design-Konzepts ist (lacht). Genau hierüber wurde ich schon einmal befragt. Damals sagte ich, dass dies meine Position sei, die ich auch verteidigen würde. Wenn Sie sich über dieses Thema auf eine Diskussion einlassen und aufgefordert werden, Position zu beziehen, brauchen Sie überzeugende Argumente. Und ich glaube, dass ich genau solche habe.

H. Zaun: Im August (2006) berichtete das Wissenschaftsmagazin "Science", dass nur 40 Prozent der amerikanischen Bevölkerung an das Konzept der Evolution glaubt.

George F. Smoot: Das finde ich beunruhigend, geradezu beängstigend. Eine lange Zeit war die Kosmologie auch wegen des katholischen Christentums etwas, das von den meisten Religionen akzeptiert wurde. Noch vor 20 Jahren hat niemand die Kosmologie in Frage gestellt. Zu sagen, es hätte keinen Big Bang gegeben, entspricht der Behauptung, dass die Erde flach ist. Ich denke, dass es sehr wichtig für die Zukunft der Menschheit wäre, dass die Leute wieder aufgeklärter und rationaler werden. Da ich jetzt auf meinem Gebiet zu den erfahrenenern Forschern zähle, besteht eines meiner Ziele darin, die nächste Wissenschaftlergeneration auf das Kommende vorzubereiten.

H. Zaun: Thales, Aristoteles, Ptolomäus, Kopernikus, dann Newton und jetzt Albert Einstein - all diese Universen "entstanden" in Europa. Denken Sie, dass das nächste Universum in den USA "kreiert" wird?

George F. Smoot: Schwer zu sagen; ich denke, dass der nächste Kosmos von europäischen und US-Forschern gemeinsam erschaffen wird. Fraglos ist die westliche Kultur in der Vergangenheit unglaublich erfolgreich gewesen. Inspiriert wurde sie selbst von der antiken Kultur. Wissenschaft ist halt eine Kultur, die sich wie andere auch über die ganze Welt ausbreitet.

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Der Urknall-Detektiv

"Das Big-Bang-Modell ist das beste Konzept, das wir derzeit haben, um den Anfang der Welt zu erklären." George F. Smoot, Professor für Physik an der Berkeley-Universität in Kalifornien, weiß aus eigener Erfahrung, wovon er spricht. Schließlich reiste der heute 61-jährige Amerikaner selbst bis ans Ende der irdischen Welt, um den Anfang der kosmischen zu verstehen. Rund um den Globus ließ er Messballone aufsteigen, die Strahlung aus dem Weltall auffingen. Auch wenn ein Ende seiner Reise noch nicht in Sicht ist, da Smoot auch an dem COBE- und WMAP-Nachfolger, dem Forschungssatelliten Planck (vorgesehener Starttermin: 2008) der Europäischen Raumfahrtagentur ESA, beteiligt ist, erklomm er inzwischen immerhin den höchsten Gipfel der Wissenschaft. Am 10. Dezember 2006 erhielt er zusammen mit Prof. John Mather (60) vom Goddard Space Center der Nasa in Greenbelt (Maryland) für die Untersuchung der kosmischen Mikrowellenhintergrundstrahlung in Stockholm den Nobelpreis für Physik.Diese 1964 von den US-Radioastronomen Robert Wilson und Arno Penzias zufällig entdeckte Strahlung gilt heute als stärkstes Indiz für die Richtigkeit des Urknall-Modells. Diesem zufolge entsprang vor ungefähr 13,7 Milliarden Jahren in einer gewaltigen "Explosion" hochintensive Strahlung.

Binnen einer Quintillionstel (Zahl mit 30 Nullen) Sekunde blähte sich der Raum aus einem undefinierbaren, unendlich kleinen Punkt ("Singularität") von unvorstellbar hoher Energiedichte und Temperatur mit unglaublicher "Geschwindigkeit" auf. Dabei entstand Materie. Zeitgleich formte sich der Raum und der Zeitpfeil ging auf seine Reise. Als 400.000 Jahre nach dem Big Bang die Ur-Suppe noch bei einer Temperatur von etwa 2700 Grad Celsius kochte, war dies gleichwohl kühl genug, damit Protonen und Elektronen zu den ersten Atomen zusammenfinden konnten. Das Licht des Universums erblickte erstmals das Licht der Welt. Charakteristisch für das kosmo-archaische Echo ist seine extrem kurzwellige Strahlung im Mikrowellenbereich. Sie liegt etwa bei 2,72 Grad Kelvin (minus 273 Grad Celsius) über dem absoluten Nullpunkt. Anfangs glaubte die Mehrheit der Astronomen noch, die 3K-Strahlung würde absolut gleichförmig aus allen Himmelsrichtungen emittieren. Smoot und Mather bewiesen das Gegenteil. Ihre Forschungssonde COBE (Cosmic Background Explorer) entdeckte in der Hintergrundstrahlung winzige Schwankungen und minimale Temperaturunterschiede. Je nach Blickrichtung erschienen diese stärker oder schwächer. Ein Phänomen, das Experten Anisotropie nennen und welches Schlüsse auf den Urzustand des Alls zulässt.

Smoots Weg zum Ruhm war steinig. 18 Jahre sezierte er die Hintergrundstrahlung mit detektivischer Akribie. Er forschte in zahlreichen Labors, tüftelte an hochsensiblen Detektoren, wertete Papierberge von Computerausdrücken aus, überprüfte die Daten kontinuierlich, durchfrostete den brasilianischen Regenwald und fror am Südpol. Von diesen entlegenen Orten sandten Smoot und sein Team (mehr als 1200 Forscher beteiligten sich an dem COBE-Experiment) Forschungsballons in die Atmosphäre, die mit speziellen Messinstrumenten bestückt waren. Aufbauend auf diesen Erfahrungswerten, entwickelte Smoot den Detektor DMR (Differentielles Mikrowellenradiometer) der COBE-Sonde. Dank der Sensibilität dieser Apparatur konnte der Kosmo-Ermittler Smoot das Urknallecho genauestens unter die Lupe nehmen und dabei eine 360-Grad-Karte des Mikrowellenhintergrunds erstellen.

WMAP (Wilkinson Microwave Anisotropy Probe) nimmt seit Mitte 2002 als Nachfolger von COBE die Fluktuationen im Urknallecho noch genauer unter die Lupe. Innerhalb fünf verschiedener Frequenzbänder, die von 22 bis 90 GHz reichen, horcht das NASA-Mikrowellen-Teleskop bestimmte Schwingungsmuster in der Mikrowellen-Hintergrundstrahlung ab, die "akustische Spitzen" aufweist. Just diese minimalen Schwankungen und Temperaturunterschiede maß WMAP mit bislang unerreichter Genauigkeit und errechnete daraus ein Wärmemuster. Die gemessene Temperatur variiert nur im Bereich von einem Millionstel Grad, aber diese winzigen Unterschiede sind der Schlüssel zu allem. Daraus können die Forscher nämlich ableiten, was sich einstmals in der kosmischen "Ursuppe" nach dem Urknall zusammenballte, aus der Sterne und Galaxien erwuchsen. Anfang 2003 veröffentlichte die NASA die erste offizielle WMAP-Aufnahme, auf der das bislang schärfste Bild vom "Feuerballstadium" der Urzeit unseres Universums zu sehen ist.

Warum sind sie noch nicht da? Ausgehend von dieser simplen Frage, kam der Nobelpreisträger und gebürtige italienische Physiker Enrico Fermi bereits 1950 zu dem Entschluss, dass in den Tiefen unserer Milchstraße hochstehende außerirdische Kulturen nicht vorhanden sind.

Gäbe es in der Galaxis nur eine ältere Zivilisation, die sich seit Jahrmillionen der interstellaren Raumfahrt bedient, dann hätten sie eigentlich infolge des Alters der Galaxis die gesamte Milchstraße binnen weniger Millionen Jahre kolonisieren müssen.

Fermis Denkansatz wird jedoch völlig zurecht sehr kontrovers diskutiert, da die Abwesenheit außerirdischer Intelligenz nicht als Beweis für deren Nichtexistenz gelten kann. Fermis Paradoxon (das in Wahrheit keines ist), ist vernachlässigbar, weil der "First Contact" theoretisch schon morgen Realität werden könnte.

Wissenswertes

COBE steht als Abkürzung für die Forschungssonde Cosmic Background Explorer. Diese diente zur Erforschung der kosmischen Hintergrundstrahlung, von der Smoot und sein 1200-köpfiges Team eine 360-Grad-Karte anfertigten. Ausgerüstet mit drei Instrumenten (DIRBE, DMR, FIRAS), operierte der NASA-Satellit von 1989 bis 1993 in einer Höhe von 900 Kilometern auf einer polaren Umlaufbahn. COBE wurde am 18. November 1989 mit einer Delta-5920-Trägerrakete ins All gehievt. Ursprünglich sollte COBE mit einer Raumfähre (Space Shuttle) in den Orbit transportiert werden, doch das Challenger-Unglück von 1986 durchkreuzte die Pläne des COBE-Teams. Doch dank geschickter Überzeugungsarbeit gelang es John Mather, besagte Delta-Rakete zu besorgen. Bereits nach nur neun Minuten Beobachtungszeit lieferte COBE die ersten Resultate, obgleich seine Winkelauflösung recht grob war. COBE konnte nur Strukturen sehen, die am Himmel mehr als sieben Grad groß waren.

Der Autor Dr. Harald Zaun

Harald Zaun (geb. 1962) ist promovierter Historiker und studierter Philosoph mit naturwissenschaftlichem Hintergrund (Universität Köln). Er arbeitet in Köln als freiberuflicher Wissenschaftsautor und Wissenschaftshistoriker und publiziert regelmäßig mit Prof. Dr. Harald Lesch. Der zweifache internationale Bestseller-Autor hat u.a. für die WELT, Süddeutsche Zeitung, Frankfurter Rundschau, Telepolis (Heise-Verlag) u.v.a. geschrieben. Schwerpunkte: Kosmologie, Astrophysik, Raumfahrt, Wissenschaftsgeschichte und primär Astrobiologie-SETI. Sein 2010 erschienenes Buch SETI – Die wissenschaftliche Suche nach außerirdischen Zivilisationen (Heise) wurde von der Max-Planck-Gesellschaft zur Lektüre empfohlen. Sein aktuelles E-Book trägt den Titel First Contact – Spurensuche nach kosmischer Intelligenz und die Gefahren (Heise, 2013). Mitglied der Deutschen Astrobiologische Gesellschaft (DAbG). Sein neues Werk mit Prof. Lesch erscheint 2019 im Bertelsmann-Verlag.

Unser Autor würde sich über einen Besuch seiner privaten Seiten unter www.haraldzaun.de freuen!

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