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Ausdruck vom: Montag, der 18.03.2024

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Sternzeit Autorenwettbewerb - 19. Platz - Krieg auf einem anderen Stern

Eine Geschichte von Peter Suska-Zerbes

"Jalim steh auf! Wir müssen in den Keller!"
Die Mutter müsste ihn nicht an der Schulter rütteln, brauchte nicht so entsetzt zu kreischen. Der sechsjährige Junge ist wach, liegt zusammengekrümmt, ohne schlafen zu können, seit Stunden auf dem Boden ihrer kleinen Wohnhütte, die sie mit einer Kuh, zwei Schweinen und ein paar Hühnern teilen, wie es auf ihrem Planeten seit Jahrtausenden üblich ist.
Er fragt sich bereits die ganze Nacht, ob die Angreifer so aussehen wie sie, die Mithis.
Das Baby auf dem Arm der Mutter fängt an zu schreien. Der Junge hört, wie seine Schwester Serima im Hintergrund ein paar Sachen zum Essen zusammenpackt: das Schwappen des Wassers in einem Messingtopf, den irgendeine Hilfsorganisation von einem wohlhabenden Nachbarplaneten vor dem Krieg da gelassen hat, das Scheppern zweier verbeulter Blechbecher und einiger verbogener Messer.
"Hoffnungslos unterentwickelt", sagten die von der Hilfsorganisation damals. "Mindestens zweitausend Jahre zurück."
Seine Mutter greift Jalim am Arm, zieht ihn hoch. "Träum nicht! Wir müssen runter."
"Lass mich, ich komm schon!" Er reißt sich los, packt eines der wild gackernden Hühner. Nach einem traurigen Blick auf die Kuh und die beiden Schweine, die sie zu seinem großen Bedauern nicht mit runter nehmen können, rennt er in den Keller, wo seine Großmutter und drei seiner Tanten bereits um eine flackernde Talgkerze sitzen.
"Wo bleibt ihr denn!" zetert die Alte gleich los.
Mutter und Serima drängen gleich hinter Jalim in das Kellerloch herein, an dessen Wänden die Schatten der herumsitzenden Frauen gespenstisch zucken.
Serima stellt ihre Sachen in einer Ecke ab, und die Mutter lässt das zweite Huhn, das sie unter den Arm geklemmt hat, auf den Boden fallen. Auf ihrem anderen Arm ist das Baby gerade wieder eingeschlafen.

Serima und ihre Mutter setzen sich zwischen die anderen Frauen auf den festgestampften braunen Boden. Jalims Mutter zieht ihren Sohn neben sich. "Setz dich!"
Jalim spürt, wie ihm als einzigen Jungen unter den Frauen die Schamesröte ins Gesicht steigt. Er gäbe einiges darum, bei den anderen Männern und seinen Brüdern zu sein: irgendwo da draußen im Krieg.
Die Frauen beginnen in ein eintöniges Gebet zu fallen, als das Sirren der Raumgleiter näher kommt. Einen Moment später vernimmt Jalim bereits das dumpfe Einschlagen der Sprengraketen, dann die rasch aufeinanderfolgenden Explosionen irgendwo über ihnen.
Sie sind da!
Ihnen im Keller bleibt nichts anderes übrig als zu hoffen und die Götter und Ahnen um ihre Hilfe anzuflehen, während die Einschläge der Sprengsätze immer näher kommen, bedrohlich in unmittelbarer Nähe detonieren. Die Frauen schrecken in ihrem schrillen Gebet bei jeder Explosion zusammen, werfen ängstliche Blicke nach oben, wo irgendwo die Sonden der Feinde nach letzten Resten von Leben suchen.
Die Großmutter bemüht sich, sie zu ermutigen: "Mit Hilfe der Götter werden wir?"
Ein Klopfen an der Tür, gerade laut genug, um gehört zu werden.
Alle zucken zusammen, blicken verschreckt zum Eingang. In ihren Augen bemerkt Jalim dieselbe Furcht: Das sind sie? die Feinde!
Jalims Mutter wendet sich mit einer fahrigen Bewegung der Großmutter zu: "Was??"
"Zschscht!"
Das Klopfen wird zu einem ungeduldigen Hämmern, zu einem hartnäckigen Poltern.
"Macht doch die verdammte Tür?! "Der Rest des Satzes geht im Krachen eines Sprengsatzes unter.
Ein Trick, um sie dazu zu bewegen, die Tür aufzumachen?

Die Großmutter greift nach der Kerze, steht auf und wankt in Richtung Tür. Jalim versteht sofort, dass die alte Frau recht hat: Wenn sie es sind, wird eine alte Kellertür sie nicht aufhalten, dann wird es besser sein, wenn sie sich in ihr unvermeidliches Schicksal ergeben.
Trotzdem bemerkt Jalim das Zittern ihres ganzen Körpers. "Wer sind Sie?", fragt die Alte mit brüchiger Stimme durch die Tür.
"Ich bin's. Vartuch", antwortet eine raue Männerstimme. "Schnell! Sie sind hinter mir her!"
Jalim reißt sich aus dem harten Griff seiner Mutter los, läuft zur Tür, durch die gerade sein Vater hereintaumelt. "Verriegelt sie wieder! Rasch!"
Die Großmutter wirft die Tür mit einem Knall hinter ihm zu, schiebt den Riegel mit einem Ruck wieder vor. "Wo kommst du??"
"Später Mutter! Habt ihr etwas zu trinken?"
Jalims Schwester Serima bringt den Topf mit Wasser. "Danke mein Schatz." Er setzt begierig den Topf auf, trinkt mit großen Schlucken.
"Langsam mein Junge!", sagt die Großmutter, die neben ihm stehen geblieben ist. Sie hält die Talgkerze einen Moment hoch, betrachtet ihren Sohn: "Du bist? verletzt, Vartuch?"
"Mutter, mach dir keine Sorgen!"

Als sie zu den anderen herüberkommen, kann Jalim sehen, dass er sein Bein nachzieht. Sein schmutziges Gesicht ist voll Schmutz und eingetrocknetem Blut. Um die Stirn trägt er einen dreckigen, blutdurchtränkten Stofffetzen, wahrscheinlich von einem alten Hemd.
"Wo sind die anderen?", fragt Großmutter zittrig.
Auf Vartuchs Gesicht macht sich die Spur einer tiefen Trauer breit. "Gefangen? Zu Tode gefoltert? Irgendwo in der Wüste verdurstet? Nur die Götter mögen es wissen."
Tränen rinnen über seinen Dreitagebart.
Nach einer Weile bekommt sein Gesicht mit einem Mal wieder diesen entschlossenen Zug, den Jalim so gut an seinem Vater kennt. "Wir müssen weg von hier!", sagt Vartuch.
Jalims Mutter greift nach der Hand des Vaters: "Wo sollen wir denn noch hin?"
"In Richtung Berge. Ich kenne viele Leute, die dorthin unterwegs sind. Sie können uns dort nicht finden."
"Es ist sehr weit." Das ist keine Frage der Großmutter, sondern eine klare Feststellung.
Vartuch schaut verärgert zu ihr herüber: "Mutter, unsere einzige Chance. Ich habe sie kennengelernt, diese Planetenpiraten. Sie kennen keine Gnade. Sklaverei oder Tod, wobei, glaube mir, der Tod tausendmal besser ist, als?"

Bouuuum!
Der Kellerraum erbebt in diesem Moment unter einer gigantischen Explosion, feiner Sand rieselt von der brüchigen Decke. Für einen langen Augenblick schweigen sie alle, starren wie hypnotisiert auf den Riss in der Decke.
Diese beginnt sich leicht durchzubiegen, hält aber.
"Wir warten, bis die Raumgleiter weg sind. Zwei, drei Stunden wird es dann dauern, bis die Bodentruppen in den frühen Morgenstunden angreifen. Die am Boden warten immer, weil sie Angst vor ihren eigenen Gleitern haben."

Gierig beißt Vartuch in ein Stück Dörrfleisch, das ihm eine von Jalims Tanten hinhielt. Nach dem Essen erzählt er auf das Drängen der Frauen von dem Krieg da draußen. Er berichtet von unvorstellbaren Massakern, von verwüsteten Landstrichen, von völlig geschlagenen Verteidigungsarmeen und dann schließlich von den Feinden, die vor Monaten mit unvorstellbarer Grausamkeit in ihr Land einfielen.
"Warum haben sie unser Land einfach überfallen?", will Jalim wissen.
Der Vater benützt viele Worte, die Jalim nicht versteht. "Das kommt darauf an, auf welcher Seite du stehst. Sie sprechen von einer unvermeidlichen Invasion, von einem notwendigen Zerschlagen der Diktatur in unserem Land. Raub, Mord und Versklavung nenne ich es."
Sie hören, wie sich die Raumgleiter über ihnen entfernen, jedoch auch auf ihrem Rückflug immer noch ihre tödliche Last in den umliegenden Dörfern abwerfen.
"Was sie wirklich wollen, mein Junge? Ich weiß es nicht? Sie versprechen, dass denjenigen, die sich freiwillig ergeben, nichts geschehen wird. Aber sie sagen das eine, sie meinen das andere. Ich habe es anders erlebt, ganz anders. Sie treiben die Männer mit ihren Lasergewehren zusammen, bringen sie weg. Man sagt, die Feinde zwingen sie, sich in Bergwerken zu Tode zu schuften. Ich glaube, die Angreifer sind ganz verrückt nach diesen glitzernden Steinen, die man dort finden kann."

"Und unsere Männer wehren sich nicht?", fragt die Großmutter mit heiserer Stimme.
"Die, die es versuchen, enden in einem der unzähligen Massengräber, Mutter."
"Und die Mädchen, Frauen?", meldet sich Jalims Schwester Serima verängstigt zu Wort.
Ihr Vater schaut sie nur stumm an. Jalim spürt, es gibt da eine Wahrheit, die selbst sein sonst so mutiger Vater nicht aussprechen kann.
"Wenn sie so mächtig und stark sind, warum dauerte es so lange, bis sie hier waren?", fragt eine der Tanten.
"Sie haben es nicht eilig, Irena. Die Eindringlinge sind sich ihrer Überlegenheit völlig bewusst. Sie erobern mit Beharrlichkeit Region um Region, vernichten mit ihren Gleitern unsere Städte und Dörfer, umzingeln ganze Landschaften mit ihren Bodentruppen und Tanks, schnüren dann den geschaffenen Ring wie eine Schlinge langsam und unbarmherzig zu."
"Und was können wir machen?"
"Nichts!? Fliehen! Die Mithis, die es in die Berge schaffen, die sich dort verstecken können, müssen warten, hoffen, dass unsere Feinde eines Tages wieder abziehen und uns vergessen."
"Ist das alles?", fragt Jalim ungläubig.
Er erwartete, dass sein Vater von Zeiten des Sieges spricht.
Dieser scheint seinen Gedanken zu erraten. "Es gibt Zeiten, in denen es gilt, weise statt tapfer zu sein, mein Junge. Sie sind mitleidlos, wenn sie etwas wollen? Es sind Menschen, Jalim!"