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23. Woche - Eine Sichel im Schwan: NGC 6888

Fotografiert von: Hans Juergen Mayer | | Astrofoto der Woche

Der Schwan beherbergt eine Fülle interessanter Deep-Sky-Objekte. Grund dafür: Dieses Sternbild liegt in der galaktischen Ebene und weist daher viele junge Sternentstehungsgebiete auf. In deren Gefolge finden sich dann viele Sternhaufen, Gasnebel und Dunkelwolken. Der 20´ x 10´ messende NGC 6888 ist ein solcher Gasnebel, jedoch kein gewöhnlicher. Im AdW springt er rechts unten ins Auge (Norden oben, Osten links). Wegen seiner Gestalt wird er "Sichelnebel" genannt, für die Freunde der englischen Sprache auch "crescent nebula" (crescent = Mondsichel, französisch übrigens croissant, man denke an das Hörnchen). In seinem Zentrum sitzt ein sehr heißer, massiver ehemaliger O-Stern, der einen starken Masseverlust durch Sternwinde erleidet. Solche Sterne sind als "Wolf-Rayet-Sterne" (WR-Sterne) bekannt. Dieser Name geht auf ihre Entdecker zurück, die beiden französischen Astronomen Charles Wolf und George Rayet, die ihre Schaffensphase gegen Ende des 19. Jahrhunderts hatten.

Im Zentrum von NGC 6888 sitzt der WR-Stern HD 192163. Seine scheinbare visuelle Helligkeit beträgt 7,5 mag mit einem Farbindex B-V = -0,01 mag (= blau). Er gehört der Sternassoziation Cyg OB1 an, seine Entfernung (und damit auch die von NGC 6888) beträgt etwa 4000 Lj. HD 192163 zeigt in seinem Spektrum auffällige Stickstofflinien, deshalb der Spektraltyp WN6. K.A. van der Hucht schuf 1981 einen Katalog der Wolf-Rayet-Sterne, welcher zwischenzeitlich immer wieder aktualisiert wurde. Dieser Katalog listet mittlerweile 227 WR-Sterne auf [1]. Dort trägt HD 192163 die Nummer WR 136.

Wie kommt es zu der Sichelgestalt des Nebels? Vor dem eigentlichen Wolf-Rayet-Stadium hat HD 192163 als Leuchtkräftiger Blauer Veränderlicher (LBV) oder als Roter Überriese bei einem Ausbruch eine umgebende aber unstrukturierte Gaswolke erzeugt. Erst als der WR-Stern mit seinem heißen Kern entstand, konnten die stetigen Sternwinde die Wolke aufblähen und im Laufe der Zeit klare Expansionsstrukturen entwickeln.

Hans Juergen Mayer ist neu im Kreis der AdW-Astrofotografen. Wir begrüßen ihn ganz herzlich! Ihm gelang im August und September 2014 dieses Bild in den Lienzer Dolomiten. Kameras waren: a) eine Canon 1100Da, b) eine Canon 1100Da mono. Als Aufnahmeoptik kam ein Refraktor 72/430 mm (Megrez) zum Einsatz. Belichtet wurde 4,5 Stunden in Farbe (ISO 800), dazu 4,2 Stunden in Hα. Daran erkennen wir, dass das AdW keine "Echtdarstellung" zeigt, sondern dass die Farbe Rot überbetont ist - was aber gewollt ist zur Demonstration der H II-Regionen.

Aus technischer Sicht ist die vorliegende Aufnahme besonders interessant, da sie mittels zweier ganz unterschiedlicher DSLR-Kameras entstanden ist. Eine dieser Kameras wurde stark modifiziert, indem die Bayermatrix, die vereinfacht gesagt für das farbliche Sehen der Kamera verantwortlich ist, vom Chip abgelöst wurde. Das übernahm sein Kollege Werner Liesmann durch Abschleifen, ein diffiziler Vorgang. Thomas Henne berichtete beim diesjährigen Gahberg-Workshop über eine andere Methode, das Abschaben mit einem Holzwerkzeug. Vorausgesetzt der Chip übersteht die Prozedur einigermaßen unbeschadet, ist die DSLR anschließend als monochrome Kamera einsetzbar. Nun ist der Fotograf in der Lage, z.B. schmalbandige Hα-Aufnahmen bei voller Auflösung des Chips zu erstellen (monochrome CCDs sind diesen Kameras immer noch überlegen, wegen ihrer höheren Dynamik von 16 bit und mehr).

Das Mischen des Hα-Kanals mit dem RGB-Bild der zweiten Kamera ist dem Autor gut gelungen. Bei genauerer Betrachtung wirken die Sterne hier und da noch etwas ausgestanzt, was aber kein wirkliches Manko darstellt.

Ein weiterer Punkt bei der technischen Besprechung der Aufnahme ist die relativ starke Farbsättigung. Während vor einigen Jahren eine solche Farbgebung noch als "zu amerikanisch" abgehandelt worden wäre, zeigt sich inzwischen auch im deutschsprachigen Raum der Trend zu kräftigeren Farben. Solange die Sternfarben dabei weiterhin die physikalischen Zustände der Sternatmosphären wiederspiegeln, ist das auch völlig in Ordnung. Die ausgeprägten blauen Höfe der helleren Sterne verstärken den Farbeindruck allerdings unnötig. Vielleicht wirkt die Aufnahme dadurch etwas zu farbintensiv. Es käme auf einen Vergleich an.

Zum Schluss weist der Bildautor auf ein Objekt im Bild hin, das den meisten Lesern vermutlich entgangen wäre: Bei den Pixelkoordinaten 528/910 befindet sich ein winziger roter Ringnebel. Kommentar des AdW-Teams: Es handelt sich um den 26 Bogensekunden großen PN G076.3+01.1, auch als Abell 69 bekannt.


Koordinaten J2000.0:
RA = 20 h 12 min 06 s, DE = +38° 21´ 18´´

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