Viele Welten

Manchmal begegnet man skurrilen Dingen, die man eventuell in der Kindheit in Science Fiction gelesen hatte, einem in der Jugend z.B. im PM-Magazin nochmals untergekommen waren und man nie für besonders relevant gehalten hatte. Umso überraschender ist es, wenn man später feststellt, dass trotz aller Skurrilität ein wissenschaftlicher Kern dahinter steckt.
So erging es mir kürzlich, als ich dieses Buch zur Rezension bekam. Bislang war für mich die Viele-Welten-Theorie nicht mehr als ein netter Gedanke, in dem die Idee der Quantenphysik auf die Spitze getrieben und von vielen SF-Autoren zur Auflösung von Zeitreiseparadoxen herangezogen wurde. Umso interessanter war es nun für mich zu lesen, was es wirklich damit auf sich hatte und das nicht ganz konventionelle Leben des "Erfinders" Hugh Everett III zu verfolgen.
Der Autor Peter Bryne, ein amerikanischer Wissenschaftsautor und Journalist, hat sich schon seit Jahren intensiv mit dem Leben und Werk Everetts beschäftigt. neben Vorträgen und Artikeln über Everett war er an einer BBC-Dokumentation über ihn beteiligt und wirkte bei der Entstehung eines elektronischen Everett-Archives. Für dieses Buch schöpfte Bryne aus diesem Fundus, aber er hatte auch die Möglichkeit, bislang unveröffentlichte Schriften aus dem Privatnachlass, die Everetts Sohn erst kürzlich entdeckte, auszuwerten. Wenn man also etwas über Hugh Everett III erfahren möchte, gehört dieses Buch zweifelsohne zur ersten Wahl.
Und es lohnt sich, sich mit dem Wissenschaftler und Mensch Everett auseinander zu setzten. Im Jahre 1930 geboren, fiel sein wissenschaftlicher Werdegang in die Zeit der Interpretationssuche, die die zunehmenden Erfolge der Quantenphysik ausgelöst hatten und in die Zeit des Kalten Krieges. In seiner Promotion, die er auf Anraten seines Doktorvaters John Archibald Wheeler, bedingt durch die Kritik Niels Bohrs, kürzte, legte er das Fundament der Viel-Welten-Theorie, die direkt im Widerspruch zu Bohrs Kopenhagener Interpretation der Quantenphysik stand. Nach der Promotion und der erfahrenen Kritik hochrangiger Wissenschaftler, wandte sich Everett von der akademischen Forschung ab und arbeitete für das US-Verteidigungsministerium. In den 60er und 70er Jahren gründete der mehrere Firmen, die ihn zum Millionär werden ließen. Obwohl einerseits mit einem sehr klarem, analytischen Denken ausgestattet, war sein privates, familiäres Leben von irrationalem Verhalten und seiner Trunksucht überschattet.
Mit der Viel-Welten-Theorie versuchte Everett sich an der Lösung eines der großen Probleme der Quantenphysik. Während sich mikroskopische Teilchen gemäß der Schrödinger-Gleichung verhalten, man nur Wahrscheinlichkeitsaussagen über Zustände des Teilchens, wie z.B. den Ort, treffen kann, sich alle möglichen Zustände überlagernd, bis eine Messung diese Überlagerung zusammenbrechen lässt, versuchte Everett mit seiner Theorie die willkürliche Trennung zwischen mikroskopischen Teilchen und mikroskopischer Welt des Messenden zu vermeiden. In seiner Theorie trennen sich ständig ganze Universen auf, in denen jedes Teilchen seine möglichen Zustände definitiv annimmt. In der Konsequenz existieren daher Myriaden Universen, die sich z.T. nur minimal aber auch gänzlich von unserem unterscheiden.
Wie diese Theorie das Leben von Everett – und damit auch das seiner Familie – wird in diesem Buch sehr eindringlich beschrieben. Bryne versteht es, das Leben und Werk in den damaligen Kontext – wissenschaftlich wie politisch – zu stellen und dabei den Spagat zwischen der Distanz eines Wissenschaftsautors und der Nähe eines Biografen zu meistern. Manchmal ist der rote Faden nicht immer erkennbar, aber den gab es weder in seinem Leben als auch in der politischen und wissenschaftlichen Zeit.
Autor: | Peter Bryne |
Titel: | Viele Welten |
Verlag: | Springer Spektrum |
ISBN | 978-3-642-25179-5 |
Jahr | 2012 |
Infos: | http://d-nb.info/1018406166 |