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29. Woche - Die Galaxiengruppe um NGC 4631

Fotografiert von: Frank Iwaszkiewicz | | Astrofoto der Woche

NGC 4631 ist als „Walfisch-„ oder „Heringsgalaxie“ im Sternbild Coma Berenices bekannt. Sie zählt zusammen mit ihrer Nachbarin NGC 4656/57 zu den oft aufgenommenen Galaxienpaaren. Auch wir bringen jetzt dieses Motiv als AdW (Norden rechts, Osten oben, Bildfeld 60' x 45'). Jedoch stecken im Bild einige bemerkenswerte Details mehr als zunächst vermutet, und darüber wird jetzt berichtet.

NGC 4631 und 4656/57 sind die hellsten Vertreter einer kleinen Gruppe aus etwa einer Handvoll Galaxien. Auffallend sind ihre blauen Farbanteile, die seitens der Bildbearbeitung völlig korrekt wiedergegeben werden. Schließlich hat NGC 4631 einen mittleren Farbindex B-V = 0,59 mag und NGC 4656 sogar 0,44 mag. Die Entfernung wird in der Literatur recht unterschiedlich angegeben. Für NGC 4631 sind es im bekannten „Catalog of the LV galaxies“ 7,35 Mpc (= 24 Mio. Lj), für NGC 4656 nur 5,4 Mpc (ca. 18 Mio. Lj). Die Astronomen des GALEX-Programms indessen setzen bei NGC 4631 eine Entfernung von rund 8,1 Mpc an, bei NGC 4656 sogar einen viel höheren Wert von 8,8 Mpc. Seth et al. (2005) nennen 7,2 Mpc für NGC 4656, und diesen Wert nehmen wir hier jetzt als Mittelwert für die gesamte Gruppe an.

NGC 4631 und NGC 4656/57 stehen nur etwa 32' auseinander. Das würde einen projizierten Abstand von nur gut 220.000 Lj bedeuten. Die Vermutung einer gegenseitigen gravitativen Beeinflussung (Wechselwirkung) lag damit immer schon nahe. 1968 wies M.S. Roberts darauf hin, dass beide Galaxien durch eine Brücke aus neutralem Wasserstoff (H I) miteinander verbunden sind. Spätere Untersuchungen mit höherer Auflösung zeigten, dass diese Brücke nicht homogen verläuft, sondern aus vielen Teilstücken und Bögen besteht. Außerdem befindet sich eine riesige Wasserstoffwolke nordöstlich von NGC 4631. Diese Beobachtungen sind ein bestätigendes Indiz für die vermutete Wechselwirkung.

NGC 4631 besitzt einen ausgedehnten, lichtschwachen Sternstrom, der im AdW aber noch nicht zum Vorschein kommt. Mit ihm assoziiert sind außer der elliptischen Zwerggalaxie NGC 4627 (direkt nördlich von NGC 4631) drei weitere Zwerggalaxien. Unsere TBG-Gruppe der FG-Astrofotografie hat sie 2014 entdeckt (siehe http://lanl.arxiv.org/abs/1401.2719).

NGC 4656 läuft nach Südwesten (im Bild nach links unten) diffus und immer schwächer werdend aus. Am anderen Ende, dort wo das gebogene Ende des „Hockeystocks“ ist, zeigt sich eine ovale, scheinbar losgelöste kleine Wolke: Das ist NGC 4657. Jedoch ist NGC 4657 keine selbstständige Galaxie, sondern ein Teilstück von NGC 4656. Das folgerte Stayton (1983) aus tiefen Fotometrien. Jetzt aber etwas Neues. Missachten wir das gekrümmte Ende und verfolgen den Galaxienkörper weiter geradlinig nach rechts oben, so gibt es eine Überraschung! Das AdW ist tief genug, um ein bemerkenswertes Objekt erscheinen zu lassen, welches erst 2012 in die wissenschaftliche Diskussion gelangte. Hier bemerkt man eine schwache Aufhellung, ein Detail, welches noch gar nicht so lange bekannt ist. Erst 2012 haben Schechtman & Hess entdeckt, dass hier eine weitere stellare Ansammlung besteht. Es handelt sich höchstwahrscheinlich um eine im Gezeitenschweif von NGC 4656 entstandene Zwerggalaxie (tidal dwarf) mit der Bezeichnung NGC 4656 UV. Bekannt wurde sie dadurch, dass es sich um eine der bisher blauesten aller Gezeitenzwerge handelt, ähnlich Holmberg IX bei M 81. Rote Riesen sind scheinbar nicht vorhanden, also ist der Zwerg extrem jung.

Schechtman & Hess folgern: a) NGC 4656 UV kann aus einer nahen Begegnung zwischen NGC 4631 und NGC 4656 entstanden sein, bei der Gas aus NGC 4656 herausgezogen wurde. Sie ist eindeutig ein separates Objekt. Fotometrie und Radiomessungen belegen, dass hier heftigst Gas in Sterne umgewandelt wird. b) Letztlich kann aber nicht ausgeschlossen werden, dass NGC 4656 UV ein im UV-Bereich heller Sternkomplex im Außenbezirk von NGC 4656 ist.

Interessant ist der Vergleich zwischen dem AdW (invertierte, kontrastverstärkte Version) und der wissenschaftlichen Aufnahme von Schechtman & Hess (Aufnahmedaten unter dem Bild). Den Galaxien sind außerdem noch Radio-Isophoten überlagert. Eindeutig ist NGC 4656 UV zu erkennen (hier klicken).

Das AdW stammt von Frank Iwaszkiewicz, bei der Bildbearbeitung half Nico Geisler. Die Aufnahmeserie datiert vom 7., 8. und 9. Mai 2016, Aufnahmeort war Eggersdorf. Als Teleskop kam ein 10-Zoll-Newton (TS ONTC) mit 1000 mm Brennweite zum Einsatz, mit einer CCD-Kamera Atik383L+ wurde 14 x 10 min je LRGB-Filter belichtet, insgesamt also 9 Std. 20 min.

Text zum Objekt und den Aufnahmedaten: Peter Riepe

Immer mehr Astrofotografen schließen sich zu kleinen Teams zusammen, sei es um gemeinsam Belichtungszeit zu sammeln, ein ferngesteuertes Teleskop an einem entfernten Standort zu betreiben, oder um die Bildakquise und Bildbearbeitung aufzuteilen. Natürlich spielt hier auch der Teamgedanke und der gemeinsame Spaß an der Astrofotografie eine Rolle. Im vorliegenden Fall hat Frank Iwaszkiewicz die Bildaufnahme erstellt und die Bildbearbeitung gemeinsam mit Nico Geisler durchgeführt. Herausgekommen ist eine feine Astroaufnahme. Das Bild hat eine gute Tiefe, ausgeglichene Farben und einen ebenso ausgeglichenen Hintergrund.

Die „Wal-Galaxie“ (NGC 4631) wirkt etwas prominent, womöglich wurde sie wie auch der „Hockey-Stick“ (NGC 4656/57) selektiv mit einer Maske bearbeitet. Das erkennt man aber erst, wenn in das Bild hinein gezoomt wird. Letztendlich zählt aber der erste Bildeindruck, und da stört nichts. Bemerkenswert ist die Belichtungszeit, die im Verhältnis 1:1:1:1 auf die LRGB- Kanäle aufgeteilt wurde. Eine Empfehlung, der nur wenige Astrofotografen folgen, die sich aber lohnt, ergeben sich doch so besonders satte Farben im Bild. Man wird aber von Fall zu Fall entscheiden, ob man der Luminanz im Verhältnis mehr Belichtungszeit gönnt, oder es eben wie im vorliegenden Fall macht, letztendlich reicht die Belichtungszeit sowieso nie aus! ;-)

Das AdW-Team gratuliert den Bildautoren zur gelungen Aufnahme.

Kommentar zum Bild: Frank Sackenheim und Dr. Stefan Binnewies

Koordinaten J2000.0:
RA = 12 h 43 min 03 s, DE = 32° 21' 21"

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