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42. Woche - NGC 7635 = Sh2-162 und der „Blasennebel“

Das AdW zeigt die H II-Region NGC 7635 im Cepheus, die auch als Sh2-162 bekannt ist, also als Objekt Nr. 162 aus dem zweiten Sharpless-Katalog. Norden ist oben, Osten links. Das Gebiet misst im Durchmesser insgesamt etwa 30´, füllt also hier in Rektaszension fast das gesamte Bildfeld aus. Der leuchtende Nebel wird im Katalog von Beverly T. Lynds ebefalls aufgelistet, und zwar als LBN 548 (Lynds Bright Nebulae). Was in diesem Bereich der Milchstraße auffällt: Der Nebelkomplex ist ganz offfensichtlich Teil einer großen Molekülwolke (Thronson et al. 1982), die von verschiedenen dunklen Strähnen grob in Nordsüdrichtung durchzogen wird.

 

Im Zentralgebiet von NGC 7635 liegt ein rundes Objekt, der „Blasennebel“ (engl. bubble nebula). Die Blase hat einen scheinbaren Durchmesser von 3´ und ist etwa 3,5 kpc (= 11.400 Lj) entfernt (Georgelin 1975). Wenn eine solche runde Struktur auftritt, dann muss es dafür auch eine Ursache geben, denn eine Blase ist – wie man inzwischen von vielen ähnlichen Objekten weiß – immer mit einer Expansion verbunden. Man sucht also einen Stern, der die Expansion bewirkt und weiter aufrecht erhält. Im geometrischen Mittelpunkt der Blase ist nichts zu finden, aber ungefähr 1´ nordnordöstlich des Zentrums findet sich bei den Pixelkoordinaten 1074/1026 ein blauer Stern. Er trägt den Namen BD+60°2522 (BD kommt von der „Bonner Durchmusterung“, nach welcher der Stern katalogisiert wurde) und gehört zur Assoziation Cas OB2. Seine scheinbare visuelle Helligkeit beträgt V = 8,66 mag, im Blauen ist er ein wenig lichtschwächer, nämlich B = 9,06 mag. Der hier im AdW immer wieder genannte Farbindex B-V, der die Echtfarbe des Sterns festlegt, beträgt also 0,4 mag. Und das bedeutet für RGB-Aufnahmen eine weißbläuliche Eigenfarbe. Das Spektrum von BD+60°2522 ist O6.5, so dass man eigentlich einen negativen Wert für B-V messen sollte, was eine stahlblaue Eigenfarbe bedeutet. Der Stern ist aber nicht so blau, er wird durch die dichte interstellare Materie von B-V = -0,25 mag auf B-V = 0,4 mag um 0,65 mag „gerötet“. Diese starke Extinktion bewirkt gleichzeitig eine Schwächung des Sternenlichts durch Lichtabsorption im visuellen Spektralbereich. Durch die starke UV-Strahlung regt BD+60°2522 einerseits die gesamte HII-Region NGC 7635 an und bringt sie zum Selbstleuchten (= Emission). Andererseits wird die Blase durch die heftigen Sternwinde „aufgeblasen“. Solche Sternwinde sind ganz typisch für heiße, massive Sterne des Typs O und Wolf-Rayet. Bemerkenswert im AdW ist auch die feine, filigrane Innenstruktur der Blase. Das sieht man nicht oft in der Qualität.

 

Schaut man sich die Umgebung der Blase genauer an, so bemerkt man einige kräftige „bright rims“. Sie formen einen ungefähren Kranz von 3 bis 5 Bogenminuten Abstand um die Blasenhülle herum. Hier zeigt sich die Stoßfront, die von der hohen Strahlungsenergie von BD+60°2522 an der umgebenden Molekülwolke erzeugt wird.

 

Etwa 5´ westsüdwestlich der Blase steht bei den Pixelkoordinaten 1329/1156 ein weiterer blauer Stern, HD 220057, Spektraltyp B2. Er hat einen Farbindex von 0,01 mag, sollte also ebenfalls sehr blau leuchten. Er erscheint jedoch hier im AdW leuchtend gelb. Das ist kein Fehler bei der Bildbearbeitung, sondern eine Konsequenz der engbandigen Filterung in zwei Wellenlängen. Und damit sind wir bei den technischen Bilddaten. Frank Iwaszkiewicz und Nico Geisler haben diese prächtige Ansicht im August 2015 aufgenommen. Aufnahmeorte waren Eggersdorf und Zepernik. Zwei Teleskope wurden verwendet, ein 10-Zoll-Newton f/4 und ein Zeiss-Apochromat 110/750 mm. Als Kameras setzten die beiden Bildautoren eine Atik 383L+ und eine Atik 460Exm ein. Die Belichtungen teilten sich wie folgt auf: 8 x 30 min für Hα und 16 x 30 min für [OIII] mit dem Zehnzöller, dazu kamen 22 x 15 min für Hα mit dem Zeiss-Apochromaten.

 

 Bisheriger Text zum Objekt und Aufnahmedaten: Peter Riepe

 

 Fast 10 Stunden Belichtungszeit durch einen Hα-Filter und immerhin 8 Stunden durch den [OIII]-Filter sind in diese farbkräftige Darstellung des Bubble-Nebels und dessen Umfeldes eingeflossen – eine bemerkenswerte Koproduktion der beiden Astrofotografen Frank Iwaszkiewicz und Nico Geisler, und im wahrsten Sinne des Wortes ein gelb-orange ;-) leuchtendes Beispiel für gemeinschaftliche Planung und Ausdauer unter unserem nur zu oft unbeständigen Himmel. Als einziger Kritikpunkt wäre die fehlende differenzierte Farbigkeit der Sterne zu nennen – so müssten wir eigentlich anmerken. Doch hat man hier ganz anders zu argumentieren: Was sollen hier die realbunten Sterne, wenn es sich ja doch um eine im Bicolor-Verfahren erstellte Falschfarbenaufnahme handelt? Da können die Sterne gar nicht mit den physikalisch richtigen Farben dargestellt werden – und dann ist durchweg weiß bis gelborange bei der Sternfarbe eine gangbare Alternative.

 

Kommentar zum Bild: Dr. Stefan Binnewies, Frank Sackenheim

 

Objektkoordinaten (J2000):

RA = 23 h 20 min 48 s, Dec = +61° 12´ 06´

 

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