13. Woche - Die HII-Region Messier 8 und was in ihr verborgen ist

Der allseits bekannte „Lagunennebel“ Messier 8 steht in Mitteleuropa relativ horizontnah. Um ihn ungestört aufnehmen zu können, braucht man schon hervorragende Transparenz und einen dunklen Himmel. In den Alpen ist so etwas schon gut umzusetzen. Fachgruppenmitglied Martin Nischang konnte sein neues Aufnahmesystem – einen RASA 8 mit 200 mm Öffung und 400 mm Brennweite sowie eine ZWO ASI 6200MC Pro – in Österreich am Rettenbachparkplatz (Ötztal/Sölden) testen. Dazu wählte er M 8 als Motiv. Aufnahmedatum war der 21.08.2020. Belichtungszeit: 8 x 120 s und 6 x 30 s ohne Autoguiding auf einer Montierung des Typs ASA DDM60. Das hier gezeigte AdW hat ein Bildfeld von 3° 21' mit Norden oben und Osten links.
Martin schreibt: „Zum einen wollte ich feststellen, wie das Bildergebnis einer Einzelaufnahme aussieht, zum anderen, wie groß das nutzbare Bildfeld tatsächlich ist. Und natürlich auch: was sich im gestackten Bild von M 8 und seiner Umgebung zeigt. Bei der vollständigen Bearbeitung in PixInsight mit einer HDR-Kombination wurde das gestackte 2-min-Ergebnis mit dem 30-s-Ergebnis zusammengesetzt. Letzteres führte dabei lediglich zu einer Ergänzung der PSF-Form der gesättigten Sterne. Aufgrund des großen Bildfeldes ist bei zentraler Lage (im Originalbild) von M 8 selbst der Trifidnebel M 20 noch im Bild. Primär für die Kometenfotografie vorgesehen, setzte ich bei diesem Gespann bewusst auf eine kleinpixelige Kamera mit rauscharmem Bayer-Matrix-Sensor. Der filterlose Betrieb ermöglicht besonders bei schnellen Kometen animierte Farbaufnahmen. Und bei Einsatz im Feld entfällt das Risiko, beim Filterwechsel in völliger Dunkelheit einen Fehler zu machen. Abgesehen vom schwierigen Hantieren in der Taukappe (ich verzichte generell auf Extraheizungen um Tuben etc.). Positiv überrascht war ich auch von der guten Empfindlichkeit des Sensors im Hα-Bereich. Sehr schwierig gestaltet sich die Gewinnung optimaler Flat-Korrekturbilder. Denn in den Randbereichen des nutzbaren Bildfeldes liegen die Intensitätswerte im Vergleich zur Bildmitte bei nur noch 40%.“
Jetzt zu den Bilddetails. Diesmal ist einiges mehr als üblich zu berichten, aber es gibt auch Neues. M 8 liegt im Sagittarius-Carina-Arm der Milchstraße, recht nahe am galaktischen Zentrum. M 8 ist ein Sternentstehungsgebiet, umgeben von einer sehr großen HII-Region. Sie ist eine der hellsten am gesamten Himmel. Weitere Katalogbezeichnungen sind: Sh2-25 und LBN 25. Die Bezeichnung „Lagunennebel“ bezieht sich auf die faserige Dunkelwolke bei den Pixelkoordinaten (3310/3120). Zentral in M 8 sitzt der sehr junge offene Sternhaufen NGC 6530, dessen Alter auf 2 – 4 Mio. Jahre geschätzt wird. Ging man bei M 8 mit NGC 6530 früher von Entfernungen um 6000 Lj aus, so hat sich dies durch neuere Messungen ein wenig geändert. Aktuell ist von 1,25 kpc die Rede, das sind ~4000 Lj (Damiani et al. 2004 sowie Arias et al. 2006). Im AdW zeigt M 8 eine Längsausdehnung von ~1,5° und damit ergibt sich ein echter Durchmesser von 105 Lichtjahren.
Die hellsten Partien von M 8 liegen westlich der Lagune. Hier sind wegen der Lichtfülle keine Details auszumachen. Das Zusatzbild (ein wenig bearbeitet) zeigt einen Ausschnitt aus M 8. Dort erkennt man als hellstes Objekt einen kleinen Nebel mit der Form eines Diabolos oder auch einer Sanduhr (roter Kreis). Dies ist der Stundenglasnebel (engl. hourglass nebula), welcher durch den benachbarten Stern Herschel 36 (H 36) zur Emission angeregt wird. H 36 ist ein Mehrfachsystem, dem Trapez im Orionnebel sehr ähnlich. In einem Umkreis von 4 Bogensekunden befinden sich etwa 10 Sterne. Der hellste und massereichste ist H 36A. Kürzlich ging man noch von einem einzelnen O-Stern aus. Inzwischen wurde bewiesen, dass H 36A ein Dreifachsystem ist. Her Aa hat den Spektraltyp O7.5 Vz, er wird innerhalb von ca. 500 Tagen von einem Doppelstern Her 36Ab1 und Her Ab2 umkreist, der eine ein O9-Stern, der andere ein B1-Stern.
Der heißeste junge Stern in M 8 ist jedoch 9 Sagittarii, ein Emissionslinenstern vom Spektraltyp O4V bei den Pixelkoordinaten (3385/3077). Damit sollte er einen Farbindex weit im negativen Bereich besitzen, was jedoch aufgrund der ihn umgebenden interstellaren Materie zu einer deutlichen Rötung mit B = 5,97 mag und V = 5.97 führt, d.h. ein Farbindex B-V = 0 mag. Auch der 7 mag helle HD 164816 bei (3354/2987) ist als Spektraltyp 09.5V+B0V (doppelt) sehr heiß und energiereich.
Die äußere Form von M 8 im ist vielgestaltig. Das liegt daran, dass im Außenraum auch anregende heiße Sterne verstreut sind. Sie schaffen neue Formen. Ein Beispiel ist der Doppelstern HD 165246 bei (2454/2773). Er schafft als 7,6 mag heller O8-Stern etwas weiter rechts (westlich) einen eigenen „bright rim“ in heller Bogenform.
Weitere Objekte im Außenraum: Über den Trifidnebel oben rechts im Bild soll hier nichts weiter geschrieben werden – das wäre ein eigenes Thema. An den nordöstlichen Ausläufern von M 8 steht ein kleines Sternenpaar, ein gelber und ein etwas schwächerer blauer Stern bei den Pixelkoordinaten (2258/2335). Dieser wird von einem blauen Reflexionsnebel umgeben. Der Stern ist 10,6 mag hell und trägt den Katalognamen LS 4654. Dieser Name basiert auf dem LS-Katalog (luminous stars = leuchtkräftige Sterne), welcher auf einen Artikel eines Hamburger Astronomen-Teams zurückgeht: J. Hardorp et al., Luminous stars in the Northern Milky Way. Part I., Hamburger Sternwarte und Warner & Swasey Obs. (1959). Der Reflexionsnebel ist GN 18.03.5 = [RK68] 83, benannt nach Rojkovskij + Kurchakov 1968.
NGC 6544 ist ein Kugelsternhaufen bei (1927/4260). Er ist 7,8 mag hell und kommt auf eine solare Distanz von 8.800 Lj. Auch NGC 6553 bei (1115/5960) ist ein Kugelsternhaufen und 8,1 mag hell, Allerdings ist er mit 19.600 Lj schon beträchtlich weiter entfernt.
Jetzt ein paar Recherchen, die Verzweifelung in mir erzeugt haben. Simbad gibt für NGC 6559 den Typus "Emissionsnebel" an, dazu jedoch eine ungenaue Position, zu weit nördlich. Nach Wolfgang Steinicke (NGC/IC) ist die Position RA = 18 h 09 min 57,6 s und Dec = -24° 06' 35''. Das ist die Position der Sterne HD 166056 und LS 4710 in dem blau leuchtenden Reflexionsnebel bei (808/2624). Sie haben als Spektraltypen B2Ve und B0.5Vn sowie 10,05 mag und 10,87 mag. Das steht im Einklang mit den Spektraltypen der beiden Sterne. Steinicke gibt als Typ "Emissionsnebel" an. Das wirft Fragen auf: Ein Reflexionsnebel als HII-Region? Vermutlich ist der HII-Bogen etwas rechts oberhalb gemeint. Der jedoch schaut eher nach einem "bright rim" aus, aus nordwestlicher Richtung ionisiert. Und dort steht im Bild bei (1089/2397) tatsächlich der junge, heiße, massereiche Stern 11 Sagittarii (HD 165921) mit dem Spektraltyp O7V und V = 7,31 mag. Er könnte damit nicht nur den bright rim NGC 6559 zur Emission anregen, sondern auch für das rote Leuchten um ihn herum im Hintergrund verantwortlich sein. Dieses umgebende Feld ist als HII-Region Sh2-29 bekannt, wobei der innere Bereich auch als IC 4685 katalogisiert ist. 11 Sgr zeigt noch eine weitere Besonderheit. Er ist als Veränderlicher V3903 Sgr bekannt mit einem zweiten, überlagerten Spektrum vom Typ B0V. Hier liegt ein Bedeckungsveränderlicher vor (L.P.R. Vaz, N.C.S. Cunha, E.F. Vieira, M.L.M. Myrrha. V 3903 Sagittarii: a massive main-sequence (O7V+O9V) detached eclipsing binary; Astronomy and Astrophysics 327, 1094-1106 (1997). Diese Astronomen fanden bei ihren Bebachtungen Hinweise darauf, dass V 3903 Sgr ein mögliches Mitglied des Komplexes M 8 und NGC 6530 ist und sich inzwischen offenbar entfernt hat.
Sh2-29 hat nach Norden zwei blasenförmige, rundliche Ausbeulungen von rund 7' Durchmesser. Ob das separate HII-Regionen sind, bleibt fraglich - selbst wenn sie in vielen Amateuraufnahmen als Sh2-31 und Sh2-32 bezeichnet werden. Die erste Beule bei (730/2030) wird in Simbad als HII-Region IC 1275 geführt, bestätigt durch W. Steinickes NGC/IC. Von Sh2-31 ist in Simbad jedoch nicht die Rede, die wird mit einer unmöglichen Position 18' weiter östlich im absoluten Bereich der Dunkelwolken angezeigt. Der hellste blaue Stern in IC 1275 ist HD 166107. Mit V = 8 mag und dem Spektraltyp B2V dürfte er jedoch für die Anregung einer so großen Zone kaum in Frage kommen. Die zweite Beule bei (876/1763) erscheint als runde HII-Region mit bläulichen Rändern. Wolfgang Steinicke bezeichnet sie als Emissionsnebel IC 1274. Der einzige in ihr enthaltene und genügend energiereiche blaue Stern ist SAO 186379 am unteren Blasenrand bei (880/1828). Mit V = 9,2 mag und dem Spektraltyp B1V käme er als Anregungsquelle in Frage. Wiederum zeigt Simbad erschreckende Schwäche: Sowohl die HII-Region Sh2-32 wird falsch angezeigt, wiederum 18' weiter östlich. Und IC 1274 ist ebenfalls ganz woanders. Fürchterlich!
Anmerkungen: Das Bildresultat ist in Anbetracht der recht kurzen Belichtungszeit grandios. Die Farben sowohl der Nebel als auch der Sterne sind überzeugend herausgearbeitet. Wieder einnmal darf man die Leistungen der neuen CMOS-Chips bestaunen. Mit dem rieigen Bildfeld hat Martin Nischang als Mitglied der TBG-Gruppe nun die Voraussetzungen geschaffen, auch in der Welt der Galaxien und ihrem Umfeld völlig neue Aspekte zu setzen.
Wir bedanken uns herzlich für diese Bildeinsendung. Zudem die Gratulation des gesamten AdW-Teams zum Astrofoto der Woche!
Peter Riepe
Bildautor: Martin Nischang
Koordinaten (J2000.0):
RA = 18 h 03 min 37 s, DE = -24° 23' 12''
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