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38. Woche - Von der Kante gesehen - NGC 4565

| Astrofoto der Woche

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Heute zeigen wir eine Galaxie, die trotz ihrer Prominenz noch nie AdW-Motiv war: NGC 4565 im Sternbild Coma Berenices. Bildautor ist Fachgruppenmitglied Jürgen Stein. Er wohnt am Rande des Rhein-Main-Gebietes, nicht weit vom Flughafen Frankfurt. Aus seinem Garten entstand die Bildserie zum heutigen AdW. Dazu Jürgen Stein: "Eigentlich war das nur als Testaufnahme gedacht. Ich habe vor einiger Zeit einen gebrauchten 12,5-Zoll-Newton (318 mm) erworben, der aber die ganze Zeit ein Schattendasein neben meinem Arbeitstier, einem 10-Zoll-Newton, führte. Das liegt auch daran, dass ich in meinem teilmobilen Setup mit dem kleineren Tubus besser klar komme. Nach langer Zeit wurde jetzt ´der Große´ mal wieder ausgepackt, modifiziert und optimiert. Die erste Testaufnahme war dann die von NGC 4565." Kamera war eine Moravian G2-8300FW. Mit einem Komakorrektor (Paracorr) wurde bei f = 1630 mm (d.h. Apertur f/5,1) eine LRGB-Serie erstellt. Belichtet wurde 26, 23, 15 und 18 x 5 Minuten, in Summe 7 Stunden. Die Bildbearbeitung erfolgte in PixInsight und Photoshop. Norden ist in etwa links und Osten unten. Das Bildfeld hat eine Ausdehnung von 34,7' x 25,2'.

Die im April 1785 von W. Herschel entdeckte NGC 4565 wird - wie auch NGC 3718 in der letzten Woche - als LINER-Typus bezeichnet. LINER bedeutet "low-ionization nuclear emission line region". Das bedeutet: Im Kerngebiet (nucleus) solcher Galaxien kann eine Emissionsstrahlung mit geringer Ionisation nachgewiesen werden. Die Kernregion ist dem zufolge ein AGN, ein aktiver galaktischer Nucleus (Kern). Die äußere Erscheinung von NGC 4565 besticht durch eine nahezu perfekte Kantenstellung (engl. edge-on). Bei Scheibengalaxien mit einem hohen Gehalt an interstellarer Materie wird stets ein dichtes äquatoriales Staubband sichtbar.

Interstellare Materie sammelt sich in Scheibengalaxien überwiegend in der galaktischen Ebene. Es gibt aber auch Materie oberhalb und unterhalb dieser Ebene. Ein typisches Beispiel in unserer Milchstraße ist der galaktische Zirrus, etwa die MBM-Nebel im Pegasus. Sie liegen in hohen galaktischen Breiten, d.h. weit über der galaktischen Ebene. Und da stellt sich die Frage: Wie dick ist eigentlich eine Scheibengalaxie? Das aktuelle AdW bietet wegen der Kantenstellung eine gute Möglichkeit, das herauszufinden. Anhand der Sterne ergibt sich ein Bildmaßstab von 0,681 arcsec/px (Bogensekunden pro Pixel). Damit lassen sich im Bild für NGC 4565 folgende Maße in Bogensekunden bestimmen: Bulge 100'', Scheibendicke bei halbem Kernabstand 63". Jetzt wird noch die Entfernung der Galaxie gebraucht. Eine neue astronomische Publikation stammt von S. G. Carlsten et al.: Wide-field Survey of Dwarf Satellite Systems around 10 Hosts in the Local Volume; ApJ 891, art. id. 144, 30pp (3/2020). Darin werden 11,9 Mpc als heliozentrische Distanz angegeben, das ~39 Mio. Lichtjahre. In dieser Entfernung entspricht eine Bogensekunde 189 Lichtjahren. Der Bulge von NGC 4565 ist dann 18.900 Lj dick, die Scheibe bei halbem Kernabstand etwa 11.900 Lichtjahre. Der Durchmesser von NGC 4565 leitet sich aus dem AdW zu 1000'' ab, was 189.000 Lichtjahren gleichkommt. NGC 4565 ist also eine riesengroße Galaxie, fast doppelt so groß wie unsere Milchstraße mit 100.000 Lichtjahren. Man kann jetzt auch nachrechnen, dass das Verhältnis von Bulge zu Galaxiendurchmesser für NGC 4565 1:10 beträgt, das Verhältnis von Scheibendicke zum Durchmesser liegt bei 1:16.

Trotz der Schräglage lässt sich der Galaxientyp von NGC 4565 bestimmen, weil großteleskopische, hoch aufgelöste Aufnahmen noch etwas von der Armstruktur erkennen lassen. In der Datenbank Simbad wird Sab angegeben. Die Radialgeschwindigkeit wäre bei 11,9 Mpc Entfernung für eine Hubble-Konstante Ho = 73 km/s/Mpc auf 869 km/s zu veranschlagen. Gemessen wurden aber 1258 km/s. Diese deutlicheAbweichung könnte durch lokale Galaxienströmungen verursacht werden. Zu dem Zweck lasst uns jetzt mit dem Umfeld von NGC 4565 vergleichen. Dazu jetzt am besten das Original herunterladen. Bei den Pixelkoordinaten (2400/240) ist oben links NGC 4562 zu finden. Sie ist eine magellansche Sd-Spirale und hat eine Radialgeschwindigkeit von 1350 km/s. Das passt einigermaßen zu den 1258 km/s von NGC 4565, so dass NGC 4562 den Begleitern von NGC 4565 zugerechnet wird. Eine weitere Begleitgalaxie ist bei (1085/1036) sichtbar: IC 3571. Sie ist vom Typ dIrr (eine irreguläre Zwerggalaxie). Auch wenn sie recht klein und unauffällig erscheint, darf sie mit v = 1200 km/s zweifelsfrei den Begleitern von NGC 4565 zugezählt werden. Mit 6900 Lj Durchmesser passt sie gut in die Kategorie der üblichen irregulären Zwerge.

Die oben genannte Publikation von S. G. Carlsten et al. listet für NGC 4565 innerhalb eines Radius von ~500.000 Lj insgesamt 21 mögliche Galaxien als Begleiter auf, siehe Zusatzbild. Von der genannten NGC 4562 abgesehen sind das ausschließlich Zwerggalaxien. Eine davon ist noch auf unserem AdW bei (1272/1872) zu sehen: dw1237+2602 = SDSSCGB 34318.1. Die restlichen Zwerge stehen weit außerhalb des Bildfeldes.

Bei (83/184) und (423/220) liegen zwei Spiralgalaxien, die edge-on-Galaxie IC 3543 vom Typ Sc und IC 3546 vom Typ Sa. Ihre Radialgeschwindigkeiten von 6288 und 6346 km/s zeigen zweierlei: Beide stehen in etwa gleicher Entfernung und bilden möglicherweise ein Paar. Sie haben aber mit NGC 4565 nicht das Geringste zu tun, weil sie fünfmal weiter weg als diese stehen.

Anmerkungen: Bedenkt man die ungünstige Lage des Aufnahmeortes in einer lichtverschmutzten Gegend, so kann man sich als Bildautor (und auch als AdW-Leser) über das Resultat und über die erreichte Tiefe nur freuen. Auf den ersten Blick erscheint das Bild wenig bunt. Sicherlich hat Jürgen Stein eine moderate Farbsättigung gewählt - und das ist ja auch sein Recht. Andererseits blicken wir in eine Richtung, in der keine Milchstraße mit vielen verschiedenfarbigen Sternen vorliegt. Bevor also die Farbregler hochgezogen werden, kurz überlegen: Insbesondere blaue Sterne treten immer nur in Sternentstehungsgebieten auf. Hier - in diesem Bereich - gibt es sie nicht. Der größte Teil der Sterne gehört der Halo-Population II an und ist durchschnittlich gelblich. Also Finger ruhig halten und keine Steigerung der blauen Farben ... Eine saubere Farbkalibrierung ist alles, was zählt.

Wir danken Jürgen Stein für diese schöne Astroaufnahme, die uns wieder einmal auf einige neue Fakten aufmerksam macht. Dazu die Gratulation des AdW-Teams zum Astrofoto der Woche.

 

Peter Riepe
Bildautor: Jürgen Stein

 

Koordinaten von NGC 4565 (J2000.0):
RA = 12 h 36 min 20,8 s, DE = +25° 59' 15"

 

 

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