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51. Woche - Der Höhlennebel Sh2-155 – tatsächlich eine Höhle?

| Astrofoto der Woche

Das heutige AdW entführt uns wieder einmal in den Cepheus. Dieses Sternbild liegt in der Milchstraße, und gerade im Cepheus gibt es große Mengen an interstellarer Materie. So zeigt das heutige AdW ein Gemisch aus Molekülwolken, Staub und leuchtendem Gas. Ein wenig links der Bildmitte befindet sich eine dichtere Dunkelwolke, parabelförmig von einem leuchtenden Nebelbogen umgeben. Daher wird dieser Nebelbogen (die HII-Region Sh2-155) auch gern als „Höhlennebel“ bezeichnet. Wir haben zwei Bildautoren: Fachgruppenmitglied Jan Beckmann und Julian Zoller. In der Zeit vom 7. bis 9.9. und 12. bis 18.9.2020 entstanden zwei Aufnahmeserien: einmal die Hα-Belichtungen in Heidelberg, dann die LRGB-Belichtungen in Naisa/Bayern. Aufnahmeteleskop war ein TS Hypergraph, ein katadioptischer Astrograph von 150 mm Öffnung und 420 mm Brennweite. Die Belichtungszeiten: 85 x 480 s (Hα), 84 x 420 s (L) und jeweils 36 x 300 s pro Filter (RGB). Das macht 30 h 08 min insgesamt.

Alle Sterne im Bild gehören zur Assoziation Cepheus OB3. Der westlich von Sh2-155 liegende Teilbereich ist Cepheus OB3b. Einer der ersten Astronomen, die sich mit der Erforschung von Sternassoziationen befassten, war der Niederländer Adriaan Blaauw. Er nahm sich auch Cepheus OB3 vor, fotometrierte die helleren Sterne und erstellte 1959 daraus Farbenhelligkeitsdiagramme. Das gesamte Gebiet von Cepheus OB3b weist enorm viele neu entstandene Sterne auf mit einem geschätzten Alter von 2 bis 4,5 Mio. Jahren, die Entfernung dürfte bei 2300 Lichtjahren liegen (Allen et al., 2012). In Cepheus OB3 liegt Sh2-155, auch als LBN 110.11+02.44 bzw. LBN 529 katalogisiert. Es handelt sich um eine echte HII-Region, allerdings ist sie nicht rund. Das liegt daran, dass die anregende Quelle nicht mitten im Nebel liegt, sondern außerhalb. Folglich wird keine ionisierte rote Gaskugel mit zentralem Stern erzeugt, sondern nur eine von außen ionisierte, bogenförmige HII-Region. Links unterhalb von Sh2-155 bemerkt man bei den Pixelkoordinaten (1245/1085) die dichte Dunkelwolke Dobashi 3420. Sie gehört zur Molekülwolke Cepheus B und repräsentiert nur einen kleinen Teil der viel größeren „Cepheus-Molekülwolke“ (engl. Cepheus Molecular Cloud), die sich nach Osten anschließt (Huang et al., 2014). So kommt Sh2-155 an die Sichelform, die nichts anderes ist als der gekrümmte und ionisierte Außenrand der Molekülwolke. Hauptverursacher der rot leuchtenden Nebellandschaft um den Höhlennebel ist HD 217086, ein junger O7-Stern von 7,66 mag bei (1384/825). Der Stern HD 217061 bei (1428/956) ist ein B3-Typ und kann in Sh2-155 nur die überlagerte, leicht bläuliche Färbung durch Lichtstreuung am Staub bewirken.

Das Zusatzbild zeigt das Feld um den Höhlennebel mitsamt der Molekülwolke Cepheus B und der Assoziation Cepheus OB3, dazu die wichtigsten Objektdetails. Im oberen Bildteil sehen wir die Szenerie im visuellen Licht gemäß dem Himmelsatlas Aladin (siehe Datenbank Simbad). Der untere Bildteil ist absolut deckungsgleich und zeigt den Anblick in nahinfraroten Wellenlängen (2MASS). Der Staub wird nahezu durchdrungen, und eindeutig schälen sich in Cepheus OB3b zwei Sternhaufen heraus: [FSR2007] 0406 im Westen und [FSR2007] 0408 östlich davon rechts oberhalb von Sh2-155. Diese Benennung geht zurück auf D. Froebrich, A. Scholz und C. L. Raftery (2007). Sie suchten im galaktischen Äquatorbereich nach Infrarot-Sternhaufen – mit großem Erfolg. Zur Orientierung sind vier Sterne gelb markiert, wobei *2 identisch ist mit dem B3-Stern HD 217061, während *4 der ionisierende O7-Stern HD 217086 ist.

Jetzt zu den astronomischen Details im AdW selbst. Das Bildfeld misst 2,33° x 1,65° mit Norden auf 11:30 Uhr. Der helle Stern im Bildzentrum ist HD 216945. Er steht nur ~1100 Lj entfernt im Vordergrund, ist 6,5 mag hell und besitzt einen Farbindex B-V = 1,8 mag (d.h. rot-orange). Etwas links oberhalb davon ist Sh2-155 mit der Sichelform zu sehen, welche Dobashi 3420 umfasst und so eine Höhle vorgaukelt. Der Name „Höhlennebel“ stammt aus früheren Zeiten, als man annahm, eine Dunkelwolke sei ein regelrechtes Loch in der Sternenwelt. Schaut man sich die Sichel von Sh2-155 genauer an, so bemerkt man bei (1365/949) eine orange verfärbte Stelle, in der sich zumindest vier orangefarbene Sterne aufhalten. Dies ist die aktivste Stelle in Sh2-155, mit Namen [MCD93] Cep B 19 (nach Moreno-Corrall et al., 1993), wo sich eine zweite Generation von sehr jungen Sternen gebildet hat, darunter auch solche, die noch nicht das Hauptreihenstadium erreicht haben.

Von HD 216945 aus liegt ca. 16' westlich (rechts) ein Komplex aus den dichten Dunkelwolken Dobashi 3406 und 3410. Ein wenig unterhalb davon befindet sich der leuchtend blaue und rund 5,6' ausgedehnte Reflexionsnebel DG 188 (= LBN 524) mit dem 9,36 mag hellen B3-Stern HD 216629. Und noch ein sehr interessantes Objekt ist erwähenswert: Ein rotes Gasknäuel bei (1710/1716). Hierbei handelt es sich um eine Vielzahl verschachtelter Komponenten des Herbig-Haro-Objekts HH 168. Auch hier geht also aktive Sternentstehung vor sich. Von ihm aus 9,5' nach Südosten gibt es einen orange leuchtenden, winzig kleinen Reflexionsnebel GN 22.55.2 bei (1568/1878).

Anmerkungen: Auf den ersten Blick könnte man meinen, dass die Sternfarben aus Gründen einer nicht sauberen Farbkalibrierung zu sehr ins Gelbliche gehen. Irrtum! Die große Menge an Staub in dieser Gegend bewirkt eine deutliche Rötung des Sternenlichtes. Dass auch blaues Licht gut und richtig im Bild zur Geltung kommt, zeigt der leuchtend blaue Reflexionsnebel DG 188. Die lange Belichtungszeit hat sich auf jeden Fall gelohnt, hinsichtlich der Nebel wurde eine ziemliche Tiefe erreicht!

Den Bildautoren besten Dank für dieses rundum überzeugende Bild! Und das gesamte AdW-Team gratuliert herzlich zum Astrofoto der Woche!

Peter Riepe
Bildautor: Jan Beckmann

 

Koordinaten (J2000) von HD 216945:
RA = 22 h 55 min 58,4 s, DE = +62° 25´ 56´´

 

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